- Inszenierung – Christoph Marthaler
- Uraufführung
- Interessant für Menschen ab 14+
- With English surtitles (except for the premiere)
- 1 Stunde 50 Minuten ohne Pause
Ein neuer Fall für Christoph Marthaler
Christoph Marthaler lädt an den Konferenztisch. Denn dort ist Doktor Watzenreuther anzutreffen. Sein Rat ist ebenso auf Familienfesten gefragt wie auf Verwaltungsratssitzungen. Und dies besonders in Krisenzeiten. Doktor Watzenreuther ist ein Meister der vagen Diagnose und spricht aus Erfahrung. Denn sein eigenes ideelles und finanzielles Vermächtnis ist in Verruf geraten. Christoph Marthaler macht sich bei seiner neuen Uraufführung auf die Spuren einer schwer zu ergründenden Identität und erkennt einmal mehr das System dahinter.
Mediathek
- Inszenierung –
- Musikalische Einstudierung –
- Bühne –
- Kostüme –
- Lichtdesign –
- Dramaturgie –
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Peter Keller
- Cellistin –
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Statisterie Theater Basel
Vieles an Christoph Marthalers neuer Theatererfindung ‹Doktor Watzenreuthers Vermächtnis – Ein Wunschdenkfehler› kommt einem vertraut vor: die meisten der Darsteller, die stupende Musikalität der Abläufe, die Freiheit der Assoziationen. Und doch ist diesmal einiges anders, böser, dunkler.
Dafür kann sich Marthaler auf ein grossartiges Ensemble verlassen: Marie Löcker mit geeister Miene, Vera Flück mit wildem Lachen, Ueli Jäggi mit Knollennase, Raphael Clamer mit einem irren Schlagzeugsolo auf allem, was im Raum zur Verfügung steht. Carina Braunschmidt mit beredtem ‹Schweigegelübde› und Peter Keller als staubtrockener Kammerdiener.
Das Bühnenbild ist toll und birgt viele Überraschungen. Die Figuren sind wie immer grandios grotesk und es gibt auch slapstickhafte, tragik-komische Momente.
In Marthalers Stück ist die Macht, die in idiotischen Wiederholungen der gleichen Phrasen, Gesten und Szenen beschworen wird, vor allem eines: vergangen. Es ist die leere Rhetorik von Politikern und Männern von gestern, die sich am Anblick ihrer Familienstammbäume ergötzen und, wie eine kaputte Platte, immer wieder die gleichen abgelauschten Parolen wiedergeben. Darin liegt eine entlarvende Komik, gleichzeitig wird eine Atmosphäre von Fatalismus, Absurdität, Bürokratie und Apathie in der Form der Parodie geschaffen.
(Ein Marthaler-Abend) den man definitiv nicht ausrechnen kann.
Der Abend bestach durch eine durch die hintersinnig unterhaltsame Wolke durchscheinende politisch-gesellschaftliche Brisanz.
Das Stück irritiert und bricht Erwartungshaltungen - wie es im Theater sein sollte.
Eine Urne orgelt im 6/8-Takt und das obligatorische Sotto-Voce-Chörli nimmt sich ‹0 mio babbino caro› zum Klagelied, das zur grotesken Parodie gerät: Willkommen zur Zahnwurzelbehandlung bei Dr. Puccini! In Momenten wie diesen zeigt der begnadete Cast, wie Kurzweil geht - und beweist seinen Sinn fürs Timing. Kein Gag kommt zu oft, kein Schweigen dauert zu lang. Derweil wird die Wirkung der minimen Geste zelebriert. Der Kopf neigt sich, die Stimmung kollidiert. Grosses Kino.
Marthaler ist seit seinen Anfängen ein Meister der unterdrückten Gefühle, der verschluckten Ressentiments. Angesichts der politischen Krisen der Gegenwart bekommt sein Schaffen plötzlich neue Brisanz.
Marthaler war ja nie nur lustig oder komisch. Seit seinen frühesten Basler Soldatenliederabenden sind seine Produktionen immer auch grundiert von einer stillen Verzweiflung. Schon immer war da dieses wache Sensorium für Prä-, Post- und Krypto-Faschistoides. Aber so bitter und düster wie diesmal waren seine Theaterbilder noch nie.