Luft nach oben - Kolumne von Anne Haug
50 Jahre Frauenstimmrecht
50 Jahre Frauenstimmrecht, was für ein trauriger Geburtstag. Die Schweiz gewinnt keinen Genderpreis. Nicht, dass viele andere diese Auszeichnung verdienen würden, doch hier ist man wirklich schwerst im Hintertreffen. Selbst der legendäre Frauenstreik vor zwei Jahren blieb bisher ohne Konsequenz. Im Gegenteil, Vaterschaftsurlaub gibt es faktisch immer noch nicht, Frauen haben miese Renten, der Gender Pay Gap klafft weiter auseinander als es der Röschtigraben jemals tat. Dazu kommt, dass man sich in Zeiten einer Krise immer gerne auf alte Werte zurückberuft: Mütter verlieren gerade reihenweise ihre Jobs und werden wieder an den Herd gekehrt, weil sie sich einfach besser um Homeschooling und Haushalt zeitgleich kümmern können. Da kommt es doch gerade richtig, dieses Jubiläum, wo wir kollektive Dankbarkeit und etwas Freude empfinden sollen dafür, dass vor fünfzig Jahren der männliche Teil des Schweizer Volkes das Frauenstimmrecht auf Bundesebene unter Druck besiegelte.
Mein erster Entwurf für eine Kolumne zu diesem tragischen Jahrestag zielte humoristisch auf die These hin, dass das Feiern des Frauenstimmrechts eine Besänftigungsmassnahme für das gebeutelte Patriarchat sei. Denn schliesslich ist es derselbe alte weisse Mann, der lauthals rumjammert, dass ihm seit ein paar Jahren alles gnadenlos verwehrt wird - die Kunstfreiheit, die Komplimente und das Vögeln ohne Erlaubnis - es ist exakt dieser alte weisse Mann, der vor fünfzig Jahren das Kreuzchen an der richtigen Stelle machte und den Stimmzettel ganz allein zur Urne trug. Da könne man ruhig auch mal ein Lob aussprechen, fünfzig Jahre später, denn Loben an sich sei immer eine gute Strategie für eine Frau. You have to treat a man's ego as softly as you treat his dick. So endete der Text.
Mein zweiter Entwurf war ein vernichtender Erguss, wütend und selbstbezichtigend, über die Schwierigkeit, sich zu diesem fragwürdigen Jubiläum überhaupt zu äussern. Über den Druck, den Erkämpferinnen unserer Rechte in einem Text gerecht zu werden. Darüber, dass vielleicht schon alles dazu gesagt worden ist und dennoch immer wieder gesagt werden muss. Und über die Schwierigkeit, in einem patriarchalen Dissens den Mund aufzumachen. You have to treat a man's ego even softer than his dick. So endete der Text.
Distanz, Wut und Selbstzweifel. Bewährte Strategien, um Unterdrückung zu begegnen, respektive diese zu ertragen. Ich praktiziere sie, durchaus erfolgreich, seit ich denken kann. Doch eigentlich habe ich genug davon, empörte Texte zu verfassen, mich selbst zu hinterfragen oder mir neue Peniswitze aus den Fingern zu saugen. Ganz besonders im Kontext des Rechts auf Stimme.
Was bleibt? Die dritte bewährte Verhaltensweise in repressiven Strukturen wäre die der Wortlosigkeit, doch Verstummen ist natürlich keine Option! Es braucht also neue Strategien. Und die werden uns nicht einfach in den Schoss gelegt, die müssen wir, wie alles, selbst erfinden und erkämpfen. Eine Lösung habe ich noch nicht gefunden. Maybe we have to start treating a man's ego as hard as we wanna treat his dick. Was uns bleibt, ist die Luft nach oben.*
Anne Haug ist Schauspielerin am Theater Basel sowie im Film. Zudem arbeitet sie als freie Autorin für Film und Theater. In der Spielzeit 20/21 ist sie die Hausautorin im Rahmen des Stück Labor. Anne Haug kommt aus Basel.
* «Was uns bleibt, ist die Luft nach oben» entstammt einem Song des Basler Musikers und Schauspielers Martin Vischer.
Photo: René Fietzek