Interview mit Herbert Grönemeyer und Herbert Fritsch

Herbert Grönemeyer und Herbert Fritsch vor dem Eingang des Theater Basel
© Sönke Behrens


«Auch Rock'n'Roll hat in bestimmten Punkten etwas Opernhaftes»

Wie passen Herbert Grönemeyer, eine Oper und eine klassische Komödie aus dem 19. Jahrhundert zusammen?

Herbert Grönemeyer: Die Idee kam von der Basler Oper, weil Herbert Fritsch hier schon öfter gearbeitet hat. Wir beide lernten uns am Theater Bochum kennen. Da hatten wir ein gemeinsames Projekt, das wir aber fünf Tage vor der Premiere wegen Corona absagen mussten. ‹Pferd frisst Hut› ist ein Hybrid. Das ist eine Farce, die durchsetzt ist mit grossem Orchester und Chor. Thomas Meadowcroft, ein Australier, hat meine Musik dafür arrangiert.

Aber Grönemeyer und Oper?

Herbert Fritsch: Also ich kann dazu nur sagen: Herbert ist eine sehr opernhafte Persönlichkeit. (Grönemeyer lacht) Er macht mit der Stimme das, was ich mir für die Oper eigentlich wünsche. Denn das ist ein ganz tolles, modernes Medium, wenns nicht die vielen Regelungen gäbe.

Stillsitzen, ruhig sein, andächtig …

Fritsch: Genau, so eingeschränkt. Dabei ist das doch ein fantastisches Medium. Man müsste sich nur ein paar Überlegungen dazu machen. Mit den Stimmen, mit der Musik und so weiter. Man könnte jetzt sagen, was wir machen, sei eine Operette. Oder ein Musical. Ist es nicht! Es ist eine Oper. Herberts Lieder haben etwas Opernhaftes. Ich finde ideal, dass Herbert das macht. Auch Rock’n’Roll hat in bestimmten Punkten etwas Opernhaftes. Iron Butterfly zum Beispiel.

Oder Meat Loaf?

Grönemeyer: Ja. Genau.

Das heisst, das Publikum darf am Samstag Emotionen zeigen?

Fritsch: Wir bitten darum. Grönemeyer: Wir bitten dringend darum. Ich komme ja ursprünglich vom Theater. Mit 17 Jahren war ich musikalischer Leiter am Schauspielhaus in Bochum. Ich habe eine klassische Klavierausbildung und Komposition studiert. Ich hab Rachmaninow dirigiert in Luzern. Für mich ist Musik Musik. Ich unterscheide nicht zwischen Hoch- und Niederkultur. Musik ist das, was die Menschen anrühren sollte. Oder unterhalten. Oder ihnen in ihrer Trauer hilft.

Ist es nicht für einige abschreckend, wenn sie «Oper» im Programmheft lesen?

Fritsch: Das ist überhaupt nicht abschreckend. Ist doch interessant, wenn man gleichzeitig liest: Herbert Grönemeyer und Oper. Ein toller Widerspruch. Das hat sofort eine Spannung.

Grönemeyer: Musik hat Tragik, Musik hat Melancholie. Darum geht es doch. Auch um Albernes, um Lustiges. Theater kann doch heiter sein und traurig. ‹Pferd frisst Hut› ist eine fröhliche Mischung.

Herr Grönemeyer, Sie arbeiten mit dem Theater Basel zusammen, aber man kriegt Sie nicht zu sehen. Die Enttäuschung wird riesig sein.

Grönemeyer: Man weiss ja nicht, weshalb einen die Menschen mögen, aber ich glaube, es liegt eben genau darin, dass ich nicht immer das mache, was man von mir erwartet. Ich versuche ja – auch bei den Platten –, mich immer wieder Herausforderungen zu stellen. Ich versuche immer wieder, was Neues zu kochen. Ich bin doch kein Lieferant für Grönemeyer-Essen. In meinem Restaurant gibts immer wieder etwas Neues.

Sie sind dafür bekannt, dass sie grossen Spass haben an Ihren Konzerten. Werden Sie den am Samstag – hinter den Kulissen – auch haben?

Fritsch: Also, da muss ich jetzt dazwischengehen. Der Herbert kommt ja vom Theater. Er hat immer mal wieder Musik gemacht, bei der er im Hintergrund war. Bei Filmen, im Theater. Da wussten ja die Leute auch: Es ist Grönemeyer. Das in Basel ist somit ein ganz normaler Vorgang. Das macht der Herbert immer mal wieder.

Grönemeyer: Ich empfinde die gleiche Freude, die ich auf der Bühne habe, auch wenn ich meine Musik wie hier bloss höre. Ich freue mich unglaublich, elementar, dass ich Musik machen kann.

Soweit ich weiss, sind Sie schon mehrere Wochen in Basel, Herr Grönemeyer …

Sechs Wochen, aber ich war dazwischen auch mal zu Hause...

Weshalb haben Sie nicht einfach die Musik abgegeben, und das wars. Warum braucht es Sie hier vor Ort?

Grönemeyer: Die Schönheit ist der Weg; zusammen erleben, wie was wächst.

Fritsch: Es ist ganz einfach: Herbert macht die Herzen auf von all den Leuten, die hier sind. Die freuen sich, dass er hier ist, und er löst auch ganz viel aus.

Es stand nicht im Vertrag: «Hat in Basel zu sein»?

Grönemeyer: (lacht) Überhaupt nicht. Das ist für mich das Element vom Theater. Ich bin bei dem Vorgang dabei. Ich kenne das gar nicht anders. Ich will sehen, was da entsteht.

Sie reden auch rein?

Grönemeyer: Ich rede nicht rein, aber ich kann trotzdem was sagen. Wir unterhalten uns, aber letzten Endes ist Herbert der Chef. Aber das wahre Theater ist die Entstehung. Das ist das Schönste.

Ist es nicht einschüchternd für die Sänger und Schauspieler, wenn Herbert Grönemeyer bei den Proben dabei ist?

Fritsch: Nein! Keiner krampft hier rum. Überhaupt nicht. Die Leute machen auf. Es hat auch ein ganz anderes Blühen.

Grönemeyer: Ganz lieb, was du da sagst! (lacht)

Ist das Stück fertig?

Grönemeyer: (lacht laut) Fertig ist es noch lange nicht. (lacht noch lauter)

Fritsch: Wir merken, wie so langsam Blut reinkommt in die Sache. Es fängt an zu leben. Es entsteht was.

Grönemeyer: Wir sind in der Endphase. Es geht um viele Zutaten. Eingekauft haben wir. Die Gäste kommen am Samstag. Es ist alles gut, aber wir haben noch nicht am Herd gestanden. Es ist vorgekocht. Theaterproben sind dann zu Ende, wenn der Premierenvorhang hochgeht. Gemeinsam mit dem Publikum sitzt man dann da und schaut: Wie findet ihr das?

Aber es wird doch auch nachher nicht so sein, dass Aufführung 3 identisch ist mit Aufführung 14.

Fritsch: Gott sei Dank nicht.

Grönemeyer: Es reift quasi weiter.

Wird denn nach der Premiere noch geschraubt?

Fritsch: Logisch! Aber wie! Nach der Vorstellung wird nochmals über alles gesprochen, was gelaufen ist. Je mehr das Stück gespielt wird, desto mehr dekantiert es. Wie ein guter Wein. Ich hab das schon erlebt, dass die 20. Vorstellung massiv besser war. Man muss den Leuten das Vertrauen geben. Wenn Schauspieler immer das machen, was man ihnen gesagt hat, sieht das furchtbar aus. Du musst die Leute in eine Freiheit versetzen! Freie Schauspieler übertragen das auf die Zuschauer. Ein ganz tolles Gefühl. Dann entstehen Sachen.

Hätten Sie nicht Lust, den FC Basel zu trainieren, Herr Fritsch? Sie wären ein optimaler Trainer.

Fritsch: Gerne! Ich würd die wahnsinnig motivieren. Das, was im Fussball stattfindet, wie man mit Raum umgeht, wie man Raum spürt, wie man die Augen hinten haben kann beim Absatztrick – auf genau das will ich im Theater hinaus. Ich hab heute gesagt: Ihr müsst das machen wie im Fussball: Ihr müsst die Räume besetzen.

Grönemeyer: Das sieht man doch aktuell in der Bundesliga bei Leverkusen mit Xabi Alonso. Ein hochinteressanter Typ. Der hatte als Spieler ein ganz schnelles Auge, und das überträgt er jetzt auf die Mannschaft. Die spielen im Moment den schönsten Fussball. Die kommen wahnsinnig viel durch die Mitte. Alonso lässt den Spielern genau diesen Raum, sich was zu trauen. Das ist wirklich das Gleiche wie auf der Theaterbühne.

Also kein verquerer Vergleich meinerseits?

Grönemeyer: Nein, der ist genau richtig.

Fritsch: Der ist sehr gut. Was Herbert jetzt gerade gesagt hat: «Den Mut haben, durch die Mitte zu gehen», das können nicht alle. Aber dass das jemand macht und das Tor schiesst, sich traut, auf das Publikum zuzugehen: Das braucht es.

Zurück zum Wandelbaren eines Stücks. Genaue Reproduzierbarkeit ist also unerwünscht?

Grönemeyer: Kunst braucht Luft. Das ist auf der Theaterbühne nicht anders als bei Konzerten: Grossartig wird es erst, wenn man Luft und Platz hat. Das zeichnet auch meine Band aus. Wenn ich bei anderen im Konzert bin, gehe ich nachher immer raus und frage mich: Hat dem oder der auf der Bühne das Spass gemacht? War das lebendig? Wenn etwas nur abgeliefert wird, ertrag ich das nicht.

Jetzt sind wir wieder beim Spass.

Grönemeyer: Den hab ich immer, wenn ich singe. Ich singe auch für mich selbst jeden Tag. Ich singe immer. Wenn der Mensch selber merkt, wie er sich in Schwingung versetzt: Das tut unheimlich gut. Wenn die Leute mitsingen an meinen Konzerten, haben sie letztlich sich selbst erlebt.

In Basel singt man auch gerne. Wir sind eine Chorstadt.

Grönemeyer: Das ist genau das, was Basel auch ausmacht. Basel schwingt. Eine sehr leichtfüssige, schwingende Stadt.

Ich singe auch oft – nur nicht so gut wie Sie.

Grönemeyer: Völlig egal. Wenn man Lebensfreude hat, soll man die auch teilen. (lacht laut) Das ist ganz elementar. Wir sind dafür da, dass wir auch denjenigen etwas geben, denen es vielleicht im Moment nicht so gut geht. Oder umgekehrt. Wir profitieren doch auch von anderen, wenn die uns in Schwingung versetzen.

Bob Dylan sagt: Hinter allem Schönen steckt auch Schmerz.

Grönemeyer: Sicherlich. Das Singen hat etwas Befreiendes. Es befreit einen auch von wissentlichen oder unwissentlichen Dingen, die an einem nagen. Wir singen auch, um uns von Sachen zu befreien. Ich habe auch Dylan gesungen. (fängt an, im nasalen Modus des Dylan zu singen) Wer Menschen zum Lachen bringt, kennt immer auch die andere Seite. Man muss um das Leben wissen, und dann weiss man auch, wie gut es tut, zu lachen oder zu singen. Oder einfach Freude zu haben.

(Fritsch und der Autor gehen ab; Grönemeyer setzt sich ans Piano und fängt an zu spielen.)

 

Dieses Interview wurde geführt von Markus Wüest. Es ist erstmals erschienen in der Basler Zeitung vom 2. November 2023

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