Jörg Pohls Dankesrede bei der Verleihung des Gertrud Eysoldt-Rings 2023
Der Schauspieler Jörg Pohl, der mit Anja Dirks, Antú Romero Nunes und Inga Schonlau die Sparte Schauspiel am Theater Basel leitet, hat im März 2024 den renommierten Theaterpreis für seine Doppelrolle in ‹Molière – der eingebildete Tote› von Nona Fernández in einer Inszenierung von Antú Romero Nunes bekommen. Die Jury, bestehend aus der Regisseurin Karin Henkel, dem Schauspieler André Jung und dem Regisseur Jossi Wieler (Vorsitz), würdigt Jörg Pohl als Schauspieler, der «wie seinerzeit Molière, nicht nur Schauspieler ist, sondern auch das Theater mitleitet: Jörg Pohl verkörpert die Rolle von Molière selber, der wiederum die Figur Argan in dessen eigenem Stück ‹Der eingebildete Kranke› spielt.»
In der Jury-Begründung heisst es: «Jörg Pohl spielt dieses unbedingte Spiel im Spiel mit einer Theaterbesessenheit, die alle Grenzen sprengt, die ästhetischen, wie auch die moralischen; er verausgabt sich lustvoll und mit vollem Körpereinsatz bis zur Erschöpfung, furios, grell und schamlos, umgeben von einem mindestens so spiellustigen Ensemble, das, angesteckt und beschenkt von diesem dionysischen Theatermacher, ebensolche überbordende Energien versprüht.» Weiter sagt die Jury: «Bei allem barocken Wirbel, bei aller scheinbaren Übertretung bürgerlichen Geschmacks, erzählt diese klamaukig kluge Interpretation auch nicht wenig über Fragilität und Vergänglichkeit des Theaters und wird so auch zu einer berührenden Selbstreflexion über den Beruf des Schauspielers. Jörg Pohl, der nicht nur hoch virtuos und gleichsam rotzfrech spielt, spiegelt in der Figur Molière auch seine Mitverantwortung als Theaterleiter, der ein Bewusstsein davon hat, dass seine Kunst nur im Verbund mit dem Ensemble strahlen kann. Dieses Ethos ist spürbar in allen Rollen, die Jörg Pohl am Theater spielt – mutig, leidenschaftlich und immer existenziell.»
Der Gertrud-Eysoldt-Ring gilt als einer der bedeutendsten Theaterpreise im deutschsprachigen Raum und wird seit 1986 jährlich in Bensheim vergeben. Mit der Vergabe des Gertrud-Eysoldt-Ringes, einem mit 10.000 Euro dotierten Ehrenring, würdigen die Stadt Bensheim und die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste eine schauspielerische Leistung an einer deutschsprachigen Bühne.
Wir veröffentlichen hier die vollständige Dankesrede von Jörg Pohl:
Danke an Sven Schelker und Gala Winter für diese Laudatio – mein schlechtes Gewissen, Euch mit der niederträchtigen Aufgabe zu betrauen, auf einen Kollegen eine Lobrede halten zu müssen, war ja völlig unbegründet. Ich bin ganz gerührt, echt. Danke.
Liebes Publikum, liebe Jury – Karin Henkel, lieber Jossi Wieler (Gruss in die Ferne), lieber André Jung – hohe Herren und Damen von der Akademie – danke, lieber Jürgen Drescher, Gruss und Dank auch an Stefanie Jung von der Kulturarbeit Bensheim, die ich seit Wochen mit irrlichternden Fragen und widersprüchlichen Bitten nerve. Glückwunsch, lieber Wilke Weermann und danke Genija Rykova für das schöne Begleitprogramm.
Ich freue mich, dass meine Eltern hier sind, meine geliebte Freundin, meine werten Co-Chefinnen von der Schauspielsparte, liebe Anja, liebe Inga.
Ich grüsse meinen Freund Antú, der heute nicht hier sein kann, da er in Hamburg buchstäblich in dieser Sekunde die Hand von unserer Kollegin Anna Bauer hält. Glaube ich zumindest, aber das tut man doch meistens so, wenn man der Geburt des gemeinsamen Kindes harrt. Alles Gute Euch dreien.
Grüsse auch an Benedikt von Peter der uns als Leitung zusammengebracht hat und seitdem stoisch erträgt und so auch seinen Anteil daran hat, dass ich heute hier stehe.
Ich grüsse alle meine Kolleg:innen am Theater Basel.
Ich grüsse ausdrücklich auch unsere Freunde und Kolleginnen der Volksbühne, die gerade einen unfassbaren Verlust erlitten haben. Ich wünsche Euch die Kraft, weiterzumachen trotz dieser Lücke, die René Pollesch hinterlässt.
Meine Ehrung steht auch im Zeichen dessen, was wir seit nunmehr fast vier Jahren in Basel versuchen, vorantreiben, diskutieren, anzweifeln, umschmeissen, neu bauen, damit und daran scheitern und mit dem wir gelegentlich sogar Erfolg haben.
Daher werde ich versuchen zu beschreiben, was und warum wir das da eigentlich in Basel versuchen.
Es geht von der Idee aus, unserer Kunst und wie wir sie betreiben – kollektiv und egalitär, den Rücken frei zu halten. Ihr einen Ort zu geben.
Durch Ensembletheater. Mitbestimmung. Eine gemeinsame Praxis, die sich entwickelt und stets am Zweck ausgerichtet ist, autonom Kunst zu machen, als auch auf ihrer Autonomie zu beharren. Damit meine ich nicht Elfenbeinturm oder l’art pour l’art. Aber dazu später mehr. Eine Compagnie zu sein, sich um einander kümmern. In Solidarität und Verbundenheit auf der Suche nach Formen und Inhalten, Begegnungen zu suchen mit einander und nach aussen. Sich nicht kaputt zu arbeiten in Konkurrenz, nicht auszubrennen, wie das üblich ist in der Produktion von Kultur, sondern im richtigen Moment brennbar zu sein und abzufackeln auf der Bühne – das Drama, der rasende Irrsinn gehört schliesslich auf die Bühne gebracht und nicht dahinter als körperfressende Verhältnisse institutionalisiert, um einen Satz von Carl Hegemann zu paraphrasieren.
So eine Idee produziert auf dem Weg zu ihrer Verwirklichung in der Reibung mit der Wirklichkeit Widersprüche, Verluste, haufenweise Fragen.
Niemand muss bei uns machen, was er oder sie nicht will. Logische Folge: Jetzt muss man ständig machen was man will. Dann gibt es plötzlich seltsame Missverständnisse über ein gemeinsames Interesse oder über Gleichheit zum Beispiel.
Das nervt dann, weil wir das schon ernst meinen, so ernst, dass wir laufend Regeln erfinden, die das herstellen sollen, diesen gemeinsamen Willen, in dem der individuelle irgendwie aufgehoben sein soll, Regeln, an die man sich dann natürlich nicht hält, oder im richtigen Moment nicht genau erinnert, weil das ja eigentlich Quatsch ist. Ein gemeinsamer Wille. Schauspieler:innen sind windige Kreaturen, unzuverlässig und verschieden – und bei uns soll man auch verschieden sein. Ohne Angst. Alle sollten am liebsten Diven sein. Aber: Wo alle Diven sein können, ist keiner mehr eine.
Die klassische Diva ist ja gewissermassen eine Selbstverteidigungshaltung gegen die Zumutungen eines höfischen Gewerbes und privilegierte Gewinnerin zugleich. Naja. Nicht weitschweifig werden jetzt.
Ich wurde letztens gefragt, ob ich nochmal nach Basel gehen würde. Ich hab ja gesagt. Wir machen da also noch ein bisschen weiter. Machen weiter mit dem heiligen Quatsch, dem Drama, dem befreiten Spiel von selbstbewussten Spielenden.
Aber das ist alles nicht selbstverständlich oder bleibt bestehen, wo es einmal erreicht ist. Ich habe vorhin von der Autonomie der Kunst gesprochen. Da, wo sie im hier und jetzt in Ansätzen verwirklicht werden kann, ist sie auch schon bedroht. Und muss verteidigt werden. Die bürgerliche Gesellschaft hat nie, obwohl sie aus ihrer Mitte entspringt, die Kunst so recht behandeln wollen als das, was sie potentiell ist. Vorschein einer anderen, besseren Welt.
Wenn uns unsere Kunst glückt, ist genau das anwesend im Spiel auf der Bühne.
Aber die öffentlich alimentierte Kunst, die wird zunehmend von einer sehr bürgerlichen Institution bedroht. Dem immer freier drehenden Markt. Der färbt ab. Wo es zunehmend um Zahlen, Einnahmen, Auslastung, Rentabilität, sprich Ökonomie geht, ist es zusehends schwieriger, auf etwas wie Verschwendung und der konstitutiven Zweckfreiheit der Kunst zu beharren. Ihrem irgendwie utopischen Dingsbumscharakter.
Noch was zum Schluss, wenn eine bestimmte politische Formation, die in einer bestimmten politischen Partei sich kristallisiert, deren bestimmende Teile man faschistisch nennen kann und sollte, dann wird es finster. Nicht nur für alle und alles von ihnen als anders markierte, sondern auch für diejenigen, die das benannte utopische Dingsbums der Kunst betreiben. Denn die besagte Partei ist nicht nur marktradikal, sondern eine Feindin der Freiheit schlechthin.
Kunst eine der letzten Bastionen der Freiheit – keine schwer befestigte, sondern ziemlich zerbrechlich.
Ziehen Sie daraus Ihre jeweiligen Schlüsse.
Vielen Dank fürs Zuhören und vielen Dank für diesen Preis.
Jörg Pohl, 24. März 2024