Werkzeuge und Wege 1 - Strukturelles

Leiten im Team und Mitbestimmung

Mit dem Start der neuen Vierer-Leitung in Basel im Sommer 2020 war der Auftrag für die Schauspielsparte klar formuliert. Zum einen Theater in und für diese Stadt zu machen und - recht banal - das Budget einzuhalten. Diese Aufgabe stellten Verwaltungsrat und Intendanz des hiesigen Dreispartenhauses. Zum anderen, diese Arbeit nach den Vorstellungen und Bedürfnissen derer zu organisieren, die die Träger:innen des zentralen Zwecks des Theaters sind. Die Schauspieler:innen. Diesen Auftrag erteilten wir uns selbst.

Theater ist immer eine kollektive Praxis und schafft kollektive Ergebnisse. Die Basler Compagnie wird von vier Theaterpraktiker:innen geleitet. Eine Dramaturgin, eine geschäftsführende Dramaturgin, ein Regisseur und ein Schauspieler vertreten mit ihren beruflichen Erfahrungen und Perspektiven die unterschiedlichen Verantwortungsbereiche und Interessen, die sich in einem Theaterbetrieb versammeln und gelegentlich antagonistisch gegenüberstehen: Künstlerisch-inhaltliche Ausrichtung, Anliegen des Ensembles, Finanzen, Disposition.

Das erfordert, mit Formen der Entscheidungsmacht zu brechen, mit denen man nach wie vor in vielen deutschsprachigen Stadttheatern konfrontiert ist. Für alle, die es nicht wissen: Bis auf seltene Ausnahmen waren und sind die Stadttheater vormoderne Kleindespotien, in denen eine:r das Kommando hat und die anderen jede Menge fremdbestimmte Arbeit. Aber warum sollte eigentlich alles über einen Schreibtisch gehen, von einem Kopf gedacht und verlautbart werden, von einer Person letztgültig abgesegnet werden? Konzentrierte Verfügungsgewalt korrumpiert, macht kaputt, stresst alle. Zentralisierte Macht ist eine wesentliche Voraussetzung für ihren Missbrauch.
Doch eine Leitung von mehreren Personen schafft noch nicht per se autokratische Verhältnisse ab. Man kann auch im Team unterdrücken.

Bedingung für das Engagement in Basel war für viele Kolleg:innen das Versprechen, an den wesentlichen Entscheidungen, die ihre Arbeit betreffen, teilzuhaben. In den Strukturen des Stadttheaters ist das immer noch die Ausnahme.

Es gab einige wenige Versuche, diese Strukturen zu demokratisieren. Frankfurt 1971, Schaubühne Berlin zunächst 1972 und dann ab 2000 sind die prominentesten Beispiele. All diese Unternehmungen sind auf die eine oder andere Weise gescheitert oder beendet worden. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber kein Grund für Pessimismus.

Ein Zettel mit wirrem Gekritzel

Gagengerechtigkeit

Du wirst von einem Fachblatt für Bühnenkunst zur Nachwuchsschauspielerin des Jahres gekürt? Du gehst in die Chefetage und korrigierst dein Gehalt nach oben. Du bist Fernsehkommissar im Öffentlich-Rechtlichen, spielst bei den Salzburger Festspielen im Jedermann und drehst ständig für das hiesige sogenannte Qualitätskino? Du bleibst im Festengagement, aber nur für die Höchstgage. Du wirst von Regisseur:innen hofiert, vom Publikum geliebt, vom Feuilleton empfohlen? Entspann dich, reduziere auf zwei Rollen pro Jahr und verlange mehr Geld.

Kaum in einem anderen Segment des Lohnarbeitssektors sind die Gehälter so auffallend unterschiedlich und unterliegen derart stark dem jeweiligen Status der künstlerisch Beschäftigten wie im Theater. Das ist in erster Linie den individuell ausgehandelten Verträgen der Bühnenkünstler:innen geschuldet. Nicht umsonst heißen diese Solo-Verträge. Es gab bis vor kurzem kaum nennenswerte gewerkschaftliche Organisierung in der darstellenden Kunst und der Konkurrenzdruck ist immens.

Die unterschiedliche Bezahlung zementiert die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, zwischen Menschen verschiedener sozialer Herkunft, zwischen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte, zwischen denen mit mehr und weniger Erfolg. Oft wird das verschwiegen, offen mit einem obskuren Marktwert oder romantisierend mit dem Talent der Einzelnen gerechtfertigt. Diese Form der Benachteiligung - neben anderen natürlich - sickert in das Verhältnis der Theaterschaffenden untereinander ein. Sie breitet sich auf der Probe und der Bühne zwischen den Akteur:innen aus.

Wir haben nicht das Mittel dagegen, aber wir haben eins. Gleiche Bezahlung. Bei uns verdienen aber nicht alle einfach global per Einheitsgage das Gleiche, das wäre angesichts der unterschiedlichen Lebensrealität eines 60-jährigen mit drei Kindern gegenüber einer mittzwanziger Anfängerin ebenfalls ungerecht. In der Basler Compagnie wird nach Lebensjahren bezahlt.

Das ist auch nicht vollkommen widerspruchsfrei, aber es trägt der Tatsache Rechnung, dass auf einer Bühne Lebensjahre auch Erfahrung bedeuten. Generell geht die Kurve der Gehaltserhöhungen in den ersten Jahren steiler nach oben, später - ab 40 - flacht sie etwas ab. Anfänger:innen und Assistierende verdienen daher bei uns besser als an anderen Theatern. Und auch die Gäste werden entlang des Rasters bezahlt, heruntergerechnet auf einen Tagessatz, der Vorstellungsgage und Probenpauschale definiert.

Und nach zwei Jahren Erfahrung damit können wir ganz sicher sagen: In der Basler Compagnie begegnen sich auf der Bühne Menschen, die wissen, dass das Gegenüber nicht aufgrund von Gender, Race oder Fame finanziell über- oder unterlegen ist.

Ein fast leeres Blatt Papier

 

70 und 100 % Stellen

Festengagement ist Knechtschaft und das Burnout programmiert? Das Privatleben am Arsch und der Filmdreh unmöglich? An den meisten Theatern ist es nach wie vor üblich, dass Schauspieler:innen fünf bis sechs Premieren pro Spielzeit absolvieren, weit über 100 Vorstellungen jährlich spielen, die Feiertage durcharbeiten und Samstags proben. Dank gewerkschaftlichen Organisationen wie dem Ensemblenetzwerk wird nun endlich an der Abschaffung dieser ausbeuterischen Missständen gearbeitet.

Auch die Basler Compagnie arbeitet daran und hat einen Versuch gestartet, der bisher in der Theaterlandschaft einzigartig ist. Die Einführung einer optionalen 70-Prozent-Stelle und die Stückbegrenzung für alle. Und das ist das Entscheidende: Für alle, nicht nur für die, die den Status haben, ihren Vertrag entsprechend zu verhandeln.

Konkret bedeutet das: Ein 100 Prozent-Vertrag umfasst 3,5 Rollen (mit der “halben” Rolle wird die Beteiligung an Nebenformaten, die Beteiligung in Arbeitsgruppen, usw. abgebildet), 70 Prozent bedeuten 2,5 Rollen - für Kolleg:innen, die drehen oder gastieren wollen, ihren Lebensmittelpunkt noch woanders haben oder Familie und Beruf vereinbaren wollen.

Résumé

Für die Leser:innen, die sich fragen, ob sie sich hier in einem Pamphlet von sozialdemokratischen Graswurzelbürokraten verlaufen haben und was das denn mit Schauspiel zu tun haben soll:  Verhinderung von Willkür, Gerechte Bezahlung und vertraglicher Schutz vor Überarbeitung und Selbstausbeutung machen noch kein gutes Theater.  Es ist aber ein verklärender Mythos zu behaupten, Bühnenkunst von Format wäre ohne seelische Grausamkeit, finanziellen und körperlichen Ausnahmezustand und persönliche Dauerkrise nicht zu haben. Ebenso verklärend ist die Behauptung, Kunst und Demokratie schlössen sich aus. Kunst ist nicht demokratisch, stimmt. Aber Kunst ist auch nicht despotisch. Kunst ist Kunst. Wir sind Künstler:innen. Wir wollen Grausamkeit. Exzess. Raserei. Grenzüberschreitung. Ausnahmezustand. Krise. Im Spiel auf der Bühne. Jenseits dessen hätten wir gerne keine stressbedingten Magengeschwüre, einen Kontostand, der keine Depressionen erzeugt, nicht die Hände vom Chef am Arsch und Zeit für die Kinder, den Geburtstag von Papa und ein spießiges Hobby.

 

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