«Sie belasten das System mit ihrem Nicht-Rennen»

Inga Schonlau: Was hat Dich zum Schreiben über das Spital bewegt?

Ariane Koch: Das Interesse kam unter anderem durch eine eigene Erfahrung mit Krankheit und Spitalaufenthalten. Ich wollte mich ursprünglich mit älteren Menschen beschäftigen und habe dann ein Stück über einen erkrankten (Windhund-) Körper geschrieben. Die Themen sind gar nicht so weit voneinander entfernt: Es geht mir um die schwächeren Körper in unserer Gesellschaft und ihre Ungleichbehandlung, je nach Herkunft, Geschlecht, Alter, etc. Im medizinischen Kontext hat die Ungleichbehandlung von Körpern eine lange Tradition: Medikamentenentwicklung, Forschung, Symptomerkennung usw. hat immer hauptsächlich am so genannten weissen, männlich gelesenen Körper stattgefunden. Noch heute sind erkrankte Frauen* einer potentiell schlechteren medizinischen Behandlung ausgesetzt.

IS: In dem System, wie du es beschreibst, ist es kaum möglich, der einzelnen Patientin gerecht zu werden. Ich lese Dein Stück als Versuch, für das Erleben der Kranken überhaupt Worte zu finden.

AK: Genau, da ist die totale Abwesenheit von poetischer Sprache im Gesundheitswesen, was natürlich aus (schul-) medizinischer Sicht Sinn ergibt. Es gehört zu unserem Umgang mit dem kranken Körper, ihn zu einem gewissen Grad zu objektvieren und auf das Dysfunktionale zu reduzieren. Schmerz muss beispielsweise auf einer Skala von 1 bis 10, also mit einem ziemlich engen Vokabular, kommuniziert werden. Für mich als Schreibende war es wichtig, dass ich meinem kranken Körper (wieder) eine eigene Sprache geben kann. Dazu gehörte auch die Übertragung ins Fiktionale, ins Absurde und eben in die Hundewelt. Es gibt eine Abwesenheit des künstlerischen Verhandelns von Krankheit, Schmerz, allgemein. Ich habe das Spital als höchst theatralen Ort samt (unfreiwilliger) Komik erfahren.

IS: Wie kommt man aus diesem Krankenhaus wieder hinaus? Poch wirkt am Ende des Stücks irgendwie geläutert, rennt aber widerstandlos weiter.

AK: Krankheit katapultiert uns aus der Leistungsgesellschaft hinaus, weil der Körper nicht mehr zur wirtschaftlichen Produktivität beitragen kann. Das ist einerseits problematisch, weil dadurch Ausschluss und Armut drohen können. In unserer Gesellschaft werden Identitäten immer noch zu einem grossen Teil durch die Identifikation mit Jobs gebildet. Der Begriff «krank» beschreibt hauptsächlich einen Zustand, der es nicht mehr erlaubt, Lohnarbeit auszuführen. Wer nicht mehr arbeiten kann, verliert einen Teil seiner Identität. Andererseits erkenne ich im kranken Körper eine Art rebellisches Moment. Er ist nicht nur eine Bremse für den eigenen Alltag, sondern auch eine Störung im kapitalistischen System. Sogar das Gesundheitssystem funktioniert als Business – man denke beispielsweise an das Krankenkassensystem in der Schweiz –, das rentieren muss. Die Frage ist also, wer profitiert eigentlich davon? Was bedeutet es, dass wir als Gesellschaft Krankheit zwar kapitalisieren, aber dann das Pflegepersonal unter schlechten Arbeitsbedingungen agieren muss?

IS: Dein Stück erinnert an das Gefühl von Stillstand, das wir in der Corona-Zeit erlebt haben. Hat diese Erfahrung eine Art gesellschaftlichen Lerneffekt gebracht?

AK: Ich denke, dass Covid die Verwunderbarkeit unserer Körper sichtbarer gemacht hat, und somit auch Themen wie Krankheit in Kunst und Theater verhandelbarer geworden sind. Als krank definierte Menschen sind oft dazu gezwungen, sich in einer anderen Zeitlichkeit zu bewegen, was wir als Gesellschaft während Covid ähnlich erlebt haben. Im Prinzip ist es ja auch so, dass die Behandlung – oder gar Heilung – von Krankheit nicht so geregelt abläuft, wie wir sie uns wünschen. Mit diesem Gefühl der Orientierungslosigkeit waren wir auch in der Pandemie konfrontiert. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, wie viel wir nachhaltig daraus gelernt haben. Gesundheit (im westlichen Verständnis) erscheint uns noch immer als eine Selbstverständlichkeit. Müssten wir den Menschen nicht viel mehr von seiner Versehrtheit her denken?

IS: Was wünscht Du Dir für die Uraufführung?

AK: Ich freue mich, wenn das schwer anmutende Thema heiter verhandelt wird und es die Möglichkeit gibt, zu lachen. Da fast alle schon mit Krankheit in Berührung gekommen sind, hoffe ich, dass der Abend diese gemeinsame Erfahrung sichtbar, vielleicht sogar teilbar macht – oder wenigstens ihr poetisches und
dramatisches Potential aufzeigt.

Eingeschränktes HTML

  • Erlaubte HTML-Tags: <a href hreflang> <em> <strong> <cite> <blockquote cite> <code> <ul type> <ol start type> <li> <dl> <dt> <dd> <h2 id> <h3 id> <h4 id> <h5 id> <h6 id>
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.