Romantisch und ein bisschen gruselig Coppélia

Romantisch und ein bisschen gruselig

‹Coppélia› Info


Kaegis Klaenge, ein Podcast des Theater Basel.


Gabriela Kaegi: Und heute geht es um Ballettmusik, um die Musik zu Coppélia, mit der die Karriere das nicht mehr ganz jungen und bis anhin auch nicht sehr erfolgreichen Komponisten Leo Delibes richtig in Schwung gekommen ist. Wen wundert's bei diesen Ohrwürmern?

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Was es mit dieser Musik auf sich hat, das erzählt der Dirigent der basler Produktion, Thomas Herzog.

Thomas Herzog: Er hat sehr farbenfroh instrumentiert und auch so einzelne Sachen rausgeholt und Überraschungen, und eben dieses zum Teil sehr pompöse Blech, wo man sich so eine Marschkapelle oder eine Zirkuskapelle, die so frech über einen Platz zieht, vorstellt, oder dann auch wieder was unglaublich Feines und so Zierliches. Natürlich der Walzer, der so wunderbar schwungvoll ist, und es hat schon sehr schöne, man kann sagen, Ohrwürmer drin.

Gabriela Kaegi: Ferner hat die Tänzerin Tana Rosas Suñe kurz vorbeigeschaut. Sie wird in dieser Produktion einen Automaten tanzen, und das mag sie sehr.

Tana Rosas Suñe: It’s nice because it’s a very different experience because normally, when we do story ballets, we have to go through the feelings of the role. And in this case it’s not through the feeling but in the image that comes up in my mind.
(Deutsch: Es gefällt mir, weil dieses Stück andere Anforderungen stellt. Normalerweise gehen wir bei Handlungsballetten von den Gefühlen einer Figur aus. Aber in diesem Fall ist mein Ausgangspunkt nicht das Gefühlsleben, sondern die Bilder, die die Geschichte in meinem Kopf erzeugt.)

Gabriela Kaegi: Und schliesslich konnte ich auch noch mit einem Komponisten reden, mit Milko Lazar, der für Basel die Partitur von Leo Delibes ergänzt und erweitert hat und der von sich erzählt, dass er beim Schreiben von Ballettmusik einfach nicht stillsitzen kann.

Speaker 3: I found out about myself, years ago, that I have to move when I compose. I cannot just sit down and write notes. I have to move around for myself.

Gabriela Kaegi:  Das und viel Musik in den nächsten 20 Minuten. Schön, dass sie zuhören. Mein Name ist Gabriela Kaegi.

[Musik aus dem Stück]

Kurz zur Geschichte, die sich der Librettist Charles Nuitter ausgedacht hat, als er und und Leo Delibes 1870 einen Auftrag von der Opéra de Paris bekam. Also ursprünglich war es ETA Hoffmann, der sich die Geschichte ausgedacht hat, von einem Erfinder, der Automaten erschafft und, um sie lebendig werden zu lassen, eine menschliche Seele braucht oder ein paar Augen. Alles sehr romantisch, sehr deutsch und ein bisschen gruselig. Nuitter und Delibes wollen aber lieber ein komisches Ballett daraus machen. Und so geht schliesslich ihre Geschichte: Der alte Doktor Coppelius, eine Mischung aus Erfinder, Bastler und Alchemist, hat eine mechanische Puppe gebaut. Coppelia nennt er sie, und ihr versucht er jetzt mit allen Mitteln Leben einzuhauchen, womit er sich aber ziemlich schwer tut. In diese perfekte Automatenfrau verliebt sich der junge Franz, und zwar so sehr, dass er darum seine verlobte Swanilda vernachlässigt. Die, keck und neugierig und eifersüchtig, will wissen, was los ist, dringt in die Werkstatt ein, entdeckt die Puppe, zieht sich ihre Kleider an, und als Franz ebenfalls in die Werkstatt kommt, weil er zu Coppelia will, macht sie ihm als verkleidete Coppelia schöne Augen, tanzt mit ihm, flirtet mit ihm, macht ihn richtig heiss und deckt schliesslich den ganzen Schwindel auf. Franz steht schon ein bisschen blöd da, wird auch ordentlich ausgelacht, aber schliesslich versöhnen sich die beiden. So in etwa die Geschichte. Die Musik nun, die Leo Delibes dazu geschrieben hat, Begeisterte damals Publikum und Presse in Paris. Hübsch sei sie, schrieb man und weiter:

Männerstimme: …vornehm, geistreich, singend, leuchtend, lebhaft, voller rythmischer, melodischer, harmonischer und instrumentaler Einfälle.

Gabriela Kaegi: Und dann noch dies:

Männerstimme: Ein hinreissendes Bijou, das im Museum unserer Schätze, einen Ehrenplatz einnimmt.

Gabriela Kaegi: Auf jeden Fall gilt Delibes fortan als Vater der modernen Ballettmusik. Für Thomas Herzog, den Dirigenten der neuen Produktion in Basel, ist Coppelia zuerst mal eine Musik, die:

Thomas Herzog: Zuerst sehr tänzerisch ist, die eingängige Melodien hat und viele rhythmische Elemente und auch die Volksmusik miteinbezieht. Das hat jetzt mit dem Thema zu tun. Coppelia war einfach ein Geniestreich.

Gabriela Kaegi: Wir blättern uns mit Thomas Herzog durch die Partitur. Es kommt mir vor, als wühlten wir in einer Wundertüte und ziehen mal hier, mal da ein Fundstück heraus.

Thomas Herzog: Also, es hat eben, wie gesagt, diese verschiedenen Tänze, die geografisch den Anklang bringen. Also eine Mazurka…

[Musik aus dem Stück]

…ein Csárdás, ein richtiger Csárdás mit einem langsamen und einem schnellen Teil…

[Musik aus dem Stück]

Thomas Herzog: Und wir haben dieses slawische Thema mit den Variationen, was sich in allen möglichen Variationen bis ganz virtuos und grotesk entwickelt.

[Musik aus dem Stück]

Thomas Herzog: Ganz persönlich finde ich den Anfang so wunderschön. Das ist so was Zauberhaftes, ein Paukenwirbel und dann dieses Hornquartett. Wir haben das jetzt hier zweimal gespielt, als am Morgen wirklich die Sonne schien, und das ist wirklich etwas sehr romantisches. Man ist so verzaubert, und man riecht so den Blütenduft und Heu oder so.

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Als ich im Februar beim Konzeptionsgespräch mit dabei sein konnte, wo der Choreograph Edward Clug der versammelten Kompanie sein Konzept vorstellte, war noch nicht fix definiert, wer welche Rolle tanzen, wer ein grosses Solo kriegen würde und wer eben nicht. Man stelle sich das Mal in der Oper vor. «Das ist bei uns normal», war Tana Rosas Suñes Bemerkung zu diesem vorgehen. Sie tanzt, das ist jetzt fix, Coppelia den Automaten, und sie mag diese andere Art der Erfahrung. Denn normalerweise erzählt sie eine Geschichte mit Emotionen, das aber funktioniert hier nicht. Für Coppelia hingegen bräuchte sie von diesem Automaten ein starkes inneres Bild. Tana Rosas erzählt von Barcelona, ihrer Heimat, wo es einen Vergnügungspark gibt, mit einem Automatenmuseum. Dort drin stehen historische Figuren, und daran denkt sie, wenn sie tanzt, aber auch an Kinder, die mit ihren Schlenker Puppen spielen, und beides zusammen hilft ihr, nicht in Bewegungen stecken zu bleiben.

Gabriela Kaegi: Edward Clug der Choreograph kam nicht mit einem fix fertigen Konzept nach Basel. Lieber arbeitet und entwickelt er seine Choreographien zusammen mit seinen Tänzerinnen und Tänzern. Das nennt Tana Rosas Suñe den schönsten Teil einer neuen Produktion. Bei null anfangen, dann geht es zwischen Tänzerinnen und Choreograph hin und her, und zwar in beide Richtungen. «Und wenn er dann etwas für mich korrigiert», so Tana, «dann hat das immer auch etwas mit mir zu tun.»

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Der Choreograph Edward Clug wählt seinen eigenen Weg, diese Geschichte zu erzählen, so ganz grundsätzlich ist für ihn Coppelia ein bisschen operettenhaft, wie er das der Compagnie erklärt hat: «Super süss und super naiv. Die Geschichte nicht wirklich fesselnd, aber mit neu hinzukomponierter Musik könnte das Ganze etwas weniger glatt, dafür etwas widerborstiger werden.» Mit dieser Idee ging Clug zu seinem Freund und langjährigen Weggefährten, zum Komponisten Milko Lazar, und bat ihn, der Musik von Delibes etwas neues entgegenzusetzen. Und so hat Lazar nun für Basel einen neuen zweiten Akt geschrieben, jener, der in der Werkstatt des Doktor Coppelius spielt, wo Swanilda sich kurzzeitig in einen Automaten verwandelt und vorgibt, eine Puppe zu sein. 

[Musik aus dem Stück]

Milko lebt in Ljubljana. Dort erreiche ich ihn über Zoom. 

[Telefontuten]

«Bist du bereit? Nimmt's bei dir auf? Dann legen wir gleich los.»

Es gibt den Komponisten Milko Lazar, der aber auch ausgebildeter Pianist ist, Cembalist und Saxophonist und in der alten Musik genauso daheim ist, wie im Jazz. Hört man das in seiner Musik?

Milko Lazar: Ja, natürlich, man hat immer eine DNA. Aber das, was ich hier geschrieben habe, ist kein Jazz. Der ist irgendwo versteckt, klingt sozusagen subkutan mit als Rhythmus oder Polyrhythmus. Auf jeden Fall so ein Sound oder ein Groove, der das zwanzigste Jahrhundert geprägt hat und deswegen eminent wichtig ist. Ich bin aber auch beeinflusst von verschiedener Volksmusik. Wir wuchsen im Balkan auf, das ist ein musikalisch reiches Feld. Afrikanische, türkische Einflüsse, alles mischt sich hier zusammen, und dass, das mitklingt, hat etwas mit meinen Wurzeln. 

Gabriela Kaegi: Delibes Musik, ist ja manchmal sehr deskriptiv. Er nimmt uns mit in den Wald oder in die Werkstatt voller Automaten. Wie ist das in Milas Musik? Beschreibt die auch etwas?

Milko Lazar: Das auf gar keinen Fall. Ich wollte der Bewegung und dem Tanz Raum geben und nicht mit der Musik verdoppeln, was man auf der Bühne sieht, das hier ist kein Comic, oder?

Gabriela Kaegi: Milko Lazar hat das Orchester etwas verkleinert. Dafür hat er ein neues Instrument hinzugefügt.

Milko Lazar: Edward und ich haben schon verschiedenes ausprobiert, hinzugefügt. Einmal wünschte er sich ein Cembalo. Edward hört sehr gut, er hat regelrechte Mausohren, und jetzt für Coppelia kam er und sagte, ich hörte ein Cimbalom, das klang grossartig. Kann man das brauchen? Klar sagte ich, das ist zwar neu für mich, aber lass es uns versuchen, und jetzt verwende ich es innerhalb des Orchesters als Hauptrhythmusinstrument innerhalb Streichern, Holz- und Blechbläsern. Ihr Klang ist sehr sparsam, minimalistisch. Ich habe es zart und durchsichtig komponiert, und so hört man das ebenfalls zarte Cimbalom darin sehr gut. Allerdings muss man auch aufpassen, dass er sich nicht abnutzt. Sein Klang ist archaisch aber interessant. 

Gabriela Kaegi: Also das Cimbalom. Da steht es. Es sieht aus wie ein antiker Tisch mit schwerem Rahmen und schweren Beinen, aber anstelle einer Tischplatte sind jede Menge Saiten kreuz und quer gespannt. Marcus Schmied, der Cimbalomspieler, ist so lieb und erklärt es uns.

Markus Schmied: Das Cimbalom ist eigentlich eine Art Hackbrett, und ich denke, das Spannende am Hackbrett ist, dass es das auf der ganzen Welt gibt. Und das, was ich hier spiele, ist ein Instrument, das aus dem ungarisch-rumänischen Gebiet kommt. Dort haben dann im 19. Jahrhundert Instrumentenbauer das Instrument angefangen zu verändern, sodass es ein chromatisches Instrument wird, sodass ich jeden Ton habe, also das klingt so.

[Cimbalom]

Gabriela Kaegi: Neben dem Cimbalom hat Markus Schmid einen kleinen Tisch stehen mit Werkzeugen drauf. Sieht fast ein bisschen aus wie die Skalpelle und Zangen beim Chirurgen, wie sie da so in Reih und Glied liegen, seine verschiedenen Schlägel.

Markus Schmied: Genau, das sind Holzschläger, umwickelt mit Watte. Das klingt dann sehr weich.

[Cimbalom]

Markus Schmied: Man kann sie aber auch ein bisschen härter machen. Ich habe die selbst gebastelt, das heisst, ich habe vorne ein bisschen Metalldraht umgewickelt und dann erst die Watte darüber, damit es ein bisschen härter wird. 

[Cimbalom]

In diesem Stück ist es, meine ich, gefragt, dass es doch ein bisschen härter ist, meistens. Ich spiele meistens mit solchen Schlägern, die umwickelt sind, damit dieses Klirrende vom Cimbalom rauskommt. Im Gegensatz zu den Streichern, die eher dann dieses weiche, warme haben, habe ich eher so diese… diese Attacke, die ich liefern muss.

Gabriela Kaegi: Und die Musik, die Milko Lazar geschrieben hat, umschreibt Markus Schmied als…

Markus Schmied: Meistens sehr mechanisch, so ein bisschen Minimal Music, das heisst, das entspricht ein bisschen der Figur der Puppe, die quasi zum Leben erweckt wird, und deswegen ist die Musik so, wie sie jetzt ist.

[Cimbalom]

Markus Schmied: Er nimmt dann aber auch Zitate von Delibes rein und macht so seine ganze eigene Musik.

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Coppelia mit Musik von Leo Delibes und Milko Lazar, in der Choreographie von Edward Clug mit Tana Rosas Suñe als Coppelia und dem Ballett Theater Basel, sowie dem Sinfonieorchester Basel unter Leitung von Thomas Herzog. Ab dem 18. März im Theater Basel.