Hallo. Sie hören den Einführungspodcast vom Theater Basel. In dieser Folge erfahren Sie Hintergründe zur Schauspielproduktion ‹Die Aufdrängung›, inszeniert von Marie Bues. Diese Einblicke bietet uns Michael Gmaj, Schauspieldramaturg am Theater Basel. Mein Name ist Nadja Camesi und ich freue mich, dass Sie zuhören. Hallo, Michael.
Michael: Hallo, Nadja.
Nadja: Ja, diese jüngste Schauspielproduktion, die hier in Basel im Schauspielhaus zu sehen ist. Das ist eine Romanadaption, Die Aufdrängung war der Debütroman von Ariane Koch, und für den wurde sie auch ausgezeichnet. Hat einen der Schweizer Literaturpreise 22 erhalten. Worum geht es denn in dieser Geschichte?
Michael: Es geht um eine Frau, die in einem viel zu grossen Haus in einer Kleinstadt lebt, neben einem dreieckigen Berg. Und diese Frau sehnt sich danach, endlich ihre Heimat zu verlassen, schafft es aber nicht. Sie verbarrikadiert sich dafür umso mehr in diesem Haus mit zehn Zimmern. Aber dann trifft sie auf dem Bahnhof auf einen Fremden und nimmt ihn schnurstracks bei sich auf. Aber natürlich nicht aus Selbstlosigkeit, sondern sie benötigt eine Fachperson. Jemanden, der es bisher in die Fremde geschafft hat, soll ihr nun zeigen, wie es ihr gelingen könnte.
Nadja: Wir hören direkt ein erstes Mal ins Stück rein.
[Ausschnitt aus dem Stück]
Nadja: Ja, du hast ja gerade gesagt, dass diese Frau, um die es im Stück geht, in einer kleinen Stadt neben einem Berg wohnt. Das klingt jetzt erst mal, als könnte es ganz gut in die Schweiz passen. Spielt das Stück hier?
Michael: Das könnte sein, muss es aber nicht. Ariane Koch selbst legt sich da nicht fest, sagt das auch. Aber in einem Gespräch letztens hat eine Zuschauerin angemerkt, sie hätte beim Berg an die Glaspyramiden hier bei uns am Theater gedacht. In ihrer Fantasie hätte es auch Basel sein können. Und ich glaube, genau das ist auch das Spannende an dem Roman. Er kann überall spielen, aber man erkennt sich auch immer wieder selbst darin.
Nadja: Ja, und dann gibt es bestimmt auch einen Grund, warum man sich hier in Basel entschieden hat, genau diesen Roman auf die Bühne zu bringen. Warum?
Michael: Weil es die Geschichte aus der Feder einer Basler Autorin ist. Weil sie auch Theater macht, auch Performance. Und man in dem Buch auch Textflächen findet. Sprachpassagen, die dramatisch sein können. Und zuletzt, weil sich der Text mit einer der theatralsten Ursituationen beschäftigt. Eine Gastgeberin und ein Gast treffen aufeinander. Es ist wie eine Grundsituation im Theater, und diese Grundsituation ist normalerweise im Theater auch sehr simpel. Zwei oder mehr Menschen begegnen sich auf der Bühne, haben sich etwas zu sagen oder nicht und gehen dann wieder ab. Und hier haben wir genau das.
Nadja: Wer hat denn diese Bühnenfassung dieses Texts geschrieben?
Michael: Die Regisseurin Mary Bues und ich, der Dramaturg der Produktion.
Nadja: Warum hat das Arian Koch nicht selber gemacht?
Michael: Wir haben sie angefragt, die Idee liegt ja sehr nahe. Aber Ariane hat so formuliert, dass sie sich nicht als die richtige Person dafür sieht. Das verstehe ich auch, sie hätte auch richtiggehend mit uns zusammenarbeiten müssen daran, auch am Konzept, um eine Fassung dafür zu schreiben. Und die Zeit hatte sie dafür auch nicht. Und bei so einer Fassung geht es auch viel stärker um den Zugriff, also um die Frage: Auf was konzentriert man sich? Wie nutzt man den Romantext für die Bühne und wie arbeitet man ihn dafür um?
Nadja: Wofür habt ihr euch denn da am Ende entschieden? Was ist euer Fokus?
Michael: Nun, erst mal haben wir alle ganz viele Erzählpassagen gestrichen. Den Hintergrund der Frau zum Beispiel, grosse Teile, ihre Familiengeschichte und die konkreten Erlebnisse in und mit der Kleinstadt. Wir wollten wirklich die Konzentration auf der Begegnung zwischen ihr und dem Gast haben. Das sollte die Ausgangssituation sein, die theatrale Situation. Interessanterweise sind die Texte von Ariane sehr direkt. Man kann mit ihnen auch dialogisch arbeiten. Ein Mentor, mit dem Ariane an einem Text gearbeitet hat, hat ihr als Antwort auch gesagt, das Buch wäre eigentlich ein Theaterstück. Und als wir diese Teile zuerst mal hatten, also diese Auswahl, haben wir uns die Frage gestellt, welche Elemente interessant wären, sie spielerisch, also ohne Worte, nicht mit diesem Fokus auf den Text umzusetzen. Und von diesen Stellen, die wir uns rausgesucht haben, haben wir uns inspirieren lassen. Und die Spielerinnen haben dann angefangen, dafür Ausgangspunkte für ihre Improvisationen zu suchen. Der Gast zum Beispiel, gespielt von Raphael Clamer, bleibt über den ganzen Abend sprachlos. Ihm wird wie im Buch die Sprache genommen und das war auch schon sehr früh in unserem Konzept eine Entscheidung, dass wir das versuchen wollen, mit ihm gemeinsam. Also hat er eine Figur entwickelt, inspiriert durch den Roman, die aber irgendwann nur noch über Töne und Sounds spricht, also sozusagen mit Geräuschen antwortet, mit Klopfen, mit einem Hämmern etc..
Nadja: Warum spricht er denn keine Worte?
Michael: Das Besondere an Arianes Text ist, dass im Grunde die ganze Zeit die Frau spricht und den Gast mittels Zuschreibungen kontrolliert und ihm sozusagen auch alles… sein Leben ordnet und auch so sprachlich Macht über ihn ausübt. Übrigens auch hier sehr theatral. Jetzt haben wir auf der Bühne einen Körper, der sich dazu verhalten kann und im Buch wissen wir nicht… da sehen wir ihn nicht. Wir haben sozusagen nur die Zuschreibung der Frau. Und dann kann man sich fragen: Hat er tatsächlich Pinselfinger? Ist dieser Gast ein Hund? Ist es ein Mensch? Ist sie als Frau wirklich so böse zu ihm oder behauptet sie das nur? Macht sie sich nur… will sie sich damit nur beliebt in der Kleinstadt machen? Ist das wirklich ihre Sicht? Und auf der Bühne gibt es dafür eine ganz andere Dimension. Auf der Bühne kann er reagieren, sie provozieren, sich ihr widersetzen. Und das erzählt eine ganz eigene Version dieser Geschichte.
Nadja: Ja, du hast gerade die lustige Frage aufgeworfen: Ist er ein Hund? Der Gast tritt im Stück auch in einem Fellkostüm auf.
Michael: Ja, ganz zu Beginn in einem Kostüm, so fremd, wie man nur sein kann. Ein Wesen, kein Mensch. Ein Fellkostüm, dann noch dazu mit einem Sichtschirm. Also so eine Mischung zwischen Monster und Astronaut. Wir wollten da auch so eine Art Mondlandung ausprobieren, als würde er in dem Haus der Frau in einer anderen Dimension landen. Erst später tritt er dann wirklich als Mensch auf die Bühne.
Nadja: Du hast vorhin schon gesagt, er spricht nicht, aber er kommuniziert irgendwie über Töne, mit Sounds. Wie muss man sich das vorstellen?
Michael: Raphael hat mit dem Musiker Anton Bermann eine ganze Tonchoreografie entwickelt, die ihren Höhepunkt in einer Art Hauskonzert findet, was er für die Frauen veranstaltet. Es lärmt, es ist musikalisch und es stört die Frauen komplett in ihrer Ordnung.
Nadja: Das hören wir uns gleich mal an!
[Musik aus dem Stück]
Ja für dieses Geräusch-Lärm-Konzert steht eigentlich diesem Gast oder Raphael Clamer, dem Schauspieler, auch eine ganze Bühne voller seltsamer Objekte zur Verfügung. Dieses Bühnenbild wirkt ein bisschen wie ein Archiv, so eine Sammlung, das diese Frau die zentrale Protagonistin angelegt hat.
Michael: Ariane Koch meinte mal in einem Gespräch, dass sie schon so eine Fantasie einer Messiperson hatte. Wir sind da noch mal in eine andere Richtung gegangen. Es heisst ja im Text, dass diese Regelwerke, die sie erstellt, für ihn erstellt, dass sie die laminiert hat und irgendwann hat sie aus Versehen auch mal ein Insekt laminiert. Und diesen Gedanken hat die Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert auf die Idee gebracht, ein riesiges Archiv auf die Bühne zu stellen. Und da sind an den Wänden Alltagsgegenstände, die man abnehmen kann, zum Beispiel ein Plüschteddy oder ein Brot, das man essen kann, aber auch Körperelemente einer Schaufensterpuppe, Telefone, Pflanzen, Kleider, verschiedenste Werkzeuge. Eine der Schauspielerinnen meinte mal, die Frauen sammeln diese Objekte, um sich an die damit verbundenen Ereignisse erinnern zu können, also als ob sie sozusagen in ihrem, in ihrem verbarrikadierten Alltag die Sachen vergessen würden. Und sie behalten die Objekte, um sozusagen über ihr Leben nachdenken zu können. Das fanden wir sehr poetisch.
Nadja: Du sprichst ja jetzt auch schon seit ein paar Sätzen von «Die Frauen» und es sind mehrere Schauspielerinnen, das hat man auch schon gehört, aber es ist eigentlich eine Frau im Buch. Warum sind jetzt da mehrere Frauen in unserem Stück?
Michael: Aus dem Grund, weil im Buch über diese eine Frau verschiedene Sichtweisen geschildert werden. Und da dachten wir, es wäre spannend, drei Versionen dieser Frau zu zeigen. Jede verhandelt etwas anderes mit dem Gast. Jede hat ihre eigene Angst vor ihm und interessiert sich aber auch für etwas anderes an ihm. Zudem ist der Text kein innerer Monolog, Ariane hat den Roman ganz früh mal als «wir» angelegt, also in einer Mehrheit geschrieben. So wie oft Politikerinnen ein «Wir» oder ein «Man» nutzen, um ihre Meinung als Mehrheitsmeinung darzustellen, zu präsentieren, zum Beispiel in Reden. Und vielleicht wären es sozusagen im Verlauf ihres Schreibprozesses auch irgendwann mehrere Figuren geworden, die jemanden aufnehmen. Es ist aber dann doch bei der einen Frau im Roman geblieben. Aber für uns, für die Bühne, ist diese Aufteilung natürlich viel interessanter, weil sie uns viel mehr Möglichkeiten gibt, mit dem Text ins Spielen zu kommen, dialogisch zu werden. Und gespielt werden die Frauen von Elmira Bahrami, Carina Braunschmidt und Vera Flück. Aber nur, weil ich jetzt gerade dialogisch gesagt habe Ich glaube, jetzt hören wir in einen Ausschnitt rein, wo sie chorisch sprechen.
[Ausschnitt aus dem Stück]
Nadja: Ariane Koch ist auch in der jetzigen Spielzeit die Hausautorin am Theater Basel. Wieso zeigen wir denn jetzt schon einen Text von ihr? Normalerweise erarbeiten die Hausautorinnen im Laufe der Spielzeit ein Stück, was dann in der Folgespielzeit gezeigt wird.
Michael: Wieso nicht? Bitte mehr Frauen und Autor:innen auf die Bühne des Schauspielhauses. Wir haben uns zuerst für diesen Stoff entschieden und ihn auch auf den Spielplan gesetzt. Und erst einige Monate später wurde klar, dass Ariane Hausautorin wird. Das ist eigentlich der Hauptgrund, so. Es gibt ja jedes Jahr einige Bewerbungen für diese Position über Stücklabor als Hausautorin. Und dann müssen auch die Terminpläne dafür stimmen. Und der Spielplan wird eigentlich viel früher verabschiedet. Das heisst aber, und das ist auch das Tolle daran, wir kriegen nächste Spielzeit ein Theaterstück von ihr zu sehen, zu hören. Genaueres darf ich aber noch nicht verraten. Der Spielplan ist ja noch im Entstehen. Aber ich kann so viel sagen: Die erste Fassung ist fertig und es geht um eine erfolgreiche Rennhündin namens Poch, die plötzlich erkrankt und in einem Hundespital landet, aufwacht, umringt von Hundeärzten. Ich sage jetzt explizit Hundeärzte. Ariane beschäftigt sich darin mit der Welt und den Strukturen des Gesundheitswesens in einem Hundespital und man kann wahrscheinlich schon heraushören, natürlich auf ihre ganz eigene Art und Weise. Ich glaube, Höhepunkt wird eine Kopftransplantation sein.
Nadja: Da kommt ja einiges auf uns zu.
Michael: Das ist so!
Nadja: Vielen Dank für diese Einführung, Michael.
Michael: Ich danke dir, Nadja.
Nadja: Die Aufdrängung können Sie bis Ende April im Schauspielhaus sehen. Das Stück dauert knapp zwei Stunden ohne Pause. Mehr Infos finden Sie auf unserer Internetseite www.Theater-basel.ch
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