Stückeinführung Ein Sommernachtstraum

Stückeinführung

‹Ein Sommernachtstraum› Info


Mavi Behramoglu: Willkommen zum Einführungspodcast vom Theater Basel. In dieser Folge geht es um das Schauspielstück Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare, inszeniert von Antú Romero Nunes im Schauspielhaus. Inga Schonlau, Dramaturgin und Co-Leiterin der Sparte Schauspiel hier am Theater Basel, erzählt uns heute etwas über diese fantasievolle Inszenierung. Ich bin Mavi Behramoglu und ich freue mich, heute übernehmen zu dürfen. 
Hallo Inga.

Inga Schonlau: Hallo Mavi. 

Mavi: Der Sommernachtstraum ist eines der bekanntesten Stücke von William Shakespeare. Es wurde unzählige Male inszeniert. Was hat euch am meisten interessiert?

Inga: Der Sommernachtstraum ist eine ganz wunderbare Einladung ins Theater. Erst mal behauptet er, uns alle zu einer Hochzeit einzuladen. Und das ist auch eine Frage, ob es tatsächlich Anlass war, dass Shakespeare das für ein reales Hochzeitspaar geschrieben hat. Das ist in der Forschung aber umstritten und letztlich auch vielleicht nicht von Bedeutung. Auf jeden Fall entführt er uns aber alle in einen Wald und in einen Traum, in dem sich dann jeder ganz anders erlebt als bei Tageslicht. Und am Ende kommen alle, die beteiligt waren, ganz verwandelt heraus. Jedenfalls anders, als sie es am Anfang erwartet haben. Und vielleicht geht es auch den Zuschauerinnen und Zuschauern am Ende so. Im Wald treffen sich ganz verschiedene Kräfte. Es trifft sich die natürliche und die übernatürliche Welt, auch die Klassen, Aristokraten neben Proletariern, Handwerkern. Es gibt romantische Elemente und dramatische. Das alles ist sehr verführerisch für einen Theaterabend, und du hast es schon gesagt, für Antú Romero Nunes, der das Ganze inszeniert hat. Es geht ganz stark um Fantasie, und das ist für uns vielleicht auch erst mal banal, weil das im Theater natürlich immer etwas ist, wovon wir Gebrauch machen. Zurzeit von Shakespeare war aber Fantasie noch gar nicht so selbstverständlich. Man musste sie eigentlich genauso wie die Wissenschaft erst entdecken. Beide Bereiche haben sich da eigentlich gar nicht so sehr unterschieden, und beide Bereiche haben eigentlich versucht herauszufinden, was die Welt zusammenhält. Sommernachtstraum geht also der Frage nach, was Realität eigentlich überhaupt ist und wie wir das begreifen können.

Mavi: In einigen Inszenierungen der letzten Jahrzehnte wurden immer wieder die düsteren und die psychoanalytischen Dimensionen des Stücks hervorgehoben. Bei euch steht aber die Komödie und die Unterhaltung im Mittelpunkt, oder?

Inga: Es geht nicht nur nebenbei um Unterhaltung, sondern Unterhaltung ist ganz zentral auch Thema seiner Stücke. Man muss sich das ja auch so vorstellen, dass wirklich das Publikum sehr nah am Geschehen war. Und in dem Zuge lässt sich auch vielleicht erklären, warum diese «Asides», dieses Beiseitesprechen überhaupt erfunden wurde von ihm. Man kann sich vorstellen, dass das ganze Stück eigentlich in einer dauernden Metakonversation mit dem Publikum stattgefunden hat. Dann gibt es natürlich noch einen anderen Attraktionspunkt in diesem Stück und das ist die Liebe und die spricht nun mal Menschen aller Generationen an und genau die finden sich auch in dem Stück wieder. Sie haben wahrscheinlich alle einen ganz anderen Erfahrungshorizont und sind unterschiedlich mit Illusion und Desillusionierung unterwegs. Aber all die kommen eben in dem Stück vor, die Jungen, die Liebenden und die Alten, Erfahrenen. Und sogar die Götter haben immer noch Eifersuchtsprobleme miteinander.

Mavi: Der Sommernachtstraum wird ja häufig von Laiengruppen gespielt und auch sehr oft im Schultheater. Was hat das mit dieser Inszenierung zu tun?

Inga: Wir fanden tatsächlich, dass das eben keine Nebensächlichkeit ist, dass der Sommernachtstraum und damit auch ein ganzes kulturelles Erbe, vor allen Dingen auch von Laien und Theater-AGs bewahrt wird. Wir finden sogar, das ist fast so ein bisschen so eine humanistische Erfolgsgeschichte, die uns heute noch mit den Menschen vor 400 Jahren verbindet. Wenn man sich das vorstellt, dass da genauso gebannt schon diesem Sommernachtstraum gefolgt wurde und sich alle darauf eingelassen haben. Und ja, jeder, der mitspielt und inszeniert und sich mit dem Stück auseinandersetzt, der schreibt eigentlich auch ein bisschen diese Geschichte selbst weiter. Die Inszenierung hier bei uns am Theater nimmt diesen Umstand einfach in sehr konkreter Weise auf. Das Publikum sitzt sogar ebenerdig mit dem Ensemble, fast wie in einer Schulaula. Und auch das hat durchaus Verweise auf das Globe Theater.

Mavi: Was waren denn damals die Umstände, in denen Shakespeare seinen Sommernachtstraum geschrieben hat? Es war ja doch eine ganz andere Welt am Ende des 16. Jahrhunderts.

Inga: Ja, wir haben tatsächlich im Rahmen der Proben uns dann doch mal sehr vertieft, was dieses Jahr 1595 eigentlich war. Das war das Jahr, in dem Shakespeare Richard der Zweite geschrieben hat, aber eben auch Romeo und Julia neben dem Sommernachtstraum. Die letzten beiden Stücke haben beide auch so eine starke lyrische Sprache. Das hat damit zu tun, dass es damals eine Sonett-Kultur gab. Und auch das kann man sich, glaube ich, ganz plastisch vorstellen. Heutzutage gibt es ja auch Liebesdichtung in Schlager und Popmusik und das hatte damals wirklich so eine Hochphase, sodass man sich grosse Gedichte schrieb. Und Shakespeare hat das selbst einerseits getan, war auch durchaus bekannt als Sonett-Dichter und hat auch da den antiken Vorbildern nachgeahmt. Andererseits geht er aber auch darüber hinaus, weil er sich nämlich über diese schwärmerische Sprache lustig macht. Also er hat da durchaus auch immer so einen ironischen Blick drauf und das macht ihn natürlich auch wieder sehr modern. Und nicht alles ist dramatisch ernst gemeint, auch wenn die Sprache so existenziell daherkommt manchmal. Parallelen sind wirklich auch selbst in der Politik und im Wetter zu finden. Man kann sich gar nicht genug klarmachen, wie bedeutend eigentlich Königin Elisabeth war und eigentlich ihre Präsenz in allen Köpfen. Ich denke, auch vor dieser Folie wurde wirklich Theater gespielt. Man hat immer wieder ihre Präsenz tatsächlich auch wörtlich ihr Gesicht, ihre Maske vor Augen. Dann gab es natürlich diesen grossen Krieg mit Spanien, der für die Handelsbeziehungen in ganz Europa bedeutsam war. Und dann, das hören wir auch sehr wörtlich, zum Teil in einem Text, war das Wetter wohl sehr, sehr extrem. Es gab grosse Regenfälle und Missernten und Getreidepreise trieben in die Höhe. Noch dazu gab es vorab die Pest, auch wirklich nächtliche Ausgehverbote. All das war aber für das Theater damals eigentlich eher eine interessante Ausgangssituation, weil nach diesem Ende der Pest mehr oder weniger, ganz viele neue Theaterbauten entstanden. An der Themse in London, die ja auch richtig in Konkurrenz standen miteinander und sich gegenseitig überboten an Unterhaltung. Vielleicht war die Zusammensetzung des Publikums etwas anders. Man stellt sich vor, dass 80 % Handwerksgesellen da waren, aber eben auch manche Bürger und sehr wenige Aristokraten, die das Ganze dann so protegierten. Aber auf jeden Fall war das Theater einer der ganz, ganz wenigen Orte, an denen sich eigentlich alle Klassen begegneten und an denen kathartische Nächte gefeiert wurden. Ja, und wie gesagt, das Wetter, das ist durchaus wörtlich in das Stück eingegangen. Titania hat so einen wichtigen Monolog, den glaube ich viele auch kennen. 

[Ausschnitt aus dem Stück]

Mavi: Vielleicht müssen wir an dieser Stelle einmal kurz die Handlung einholen. Kannst du uns diese kurz zusammenfassen?

Inga: Shakespeare verwebt im Sommernachtstraum ganz verschiedene Ebenen und Handlungsstränge. So kennen wir das eigentlich auch aus gegenwärtigen Film- und Serien-Dramaturgien. Gerahmt wird die Handlung durch eine bevorstehende Hochzeit: Theseus, der sagenhafte Held und Herzog von Athen, möchte die Amazonenkönigin Hippolita heiraten. Und während er die Hochzeit plant, sucht ihn der alte Ägäus auf. Er beklagt, dass seine Tochter Hermia nicht Demetrius heiraten will. Hermia ist in Lysander verliebt. Theseus befiehlt Hermia, ihrem Vater zu gehorchen. Und das katapultiert dann die vier jungen Liebenden in einen Wald. Hermia und Lysander wollen gemeinsam durchbrennen. Und auch Helena und Demetrius stossen dazu. Denn Hermia hat ihrer Freundin Helena von all dem erzählt. Helena, die in Demetrius verliebt ist, will ihn für sich gewinnen, indem sie die Fluchtpläne an ihn verrät. Im Wald herrschen, für die Lebenden unsichtbar, der Elfenkönig Oberon und die Elfenkönigin Titania. Sie sind in einem dauernden Streit, der, man kann sagen, die Welt aus den Fugen bringt. Konkret streiten sie sich um einen indischen Jungen, der in Titanias Obhut ist und den Oberon für sich haben will. Oberon hat einen Diener, den Puck, und ihn schickt er, eine Zauberpflanze zu finden, mit der er sich an Titania rächen kann und sie verzaubern will. Der Saft der Pflanze soll bewirken, dass sie sich in die erste Person verliebt, die sie beim Aufwachen erblickt. Mit dem Kraut stellt Puck dann noch einiges ganz selbstständig an und bringt viel Verwirrung in den Wald. Dann gibt es noch eine dritte Erzählung. Im Wald probt nämlich eine Gruppe Handwerker als Geschenk zur Hochzeit von Theseus und die Hippolita die Aufführung der Tragödie von Pyramos und Thisbe. Pyramos und Thisbe, das ist so was wie der motivische Vorläufer von Romeo und Julia. Und den hat Shakespeare letztlich Ovids Metamorphosen entnommen. Einer von den Handwerkern ist Zettel, und seinen Kopf verwandelt Puck in einen Eselskopf. Und als Titania erwacht, ist das erste Wesen, das sie sieht, der Esel Zettel. Sie verliebt sich unsterblich in ihn und verbringt mit ihm eine aufregende Nacht. Mit dem Kraut bringt Puck dann noch weitere Verwirrung in die Gruppe der vier Jungen und am Ende dreht sich alles. Demetrius und Lysander lieben plötzlich nicht mehr Hermia, sondern Helena usw. usw. Am Ende erwachen wieder alle aus ihrem Traum und kehren zu ihren Partnerinnen und Partnern zurück. Und ein ganz bekannter Text, mit dem das Erwachen beschrieben wird, ist der Text Zettels Traum. Den hören wir jetzt mal! 

[Ausschnitt aus dem Stück]

Mavi: Wir haben gerade Sven Schelker gehört. Er ist einer der Spieler aus dem Basler Ensemble. Wer ist denn sonst noch dabei?

Inga: Ja, ich finde, dass dieser Sommernachtstraum wirklich fantastisch besetzt ist. Es gibt ja auch so ganz viele Zweierkonstellationen. Und wenn man Puck und Oberon sieht in der Besetzung von Gala Othero Winter und Michael Klammer, dann hat man da, glaube ich, so eine Neuentdeckung eines wahren Clownsduos zu sehen. Dann gibt es Aenne Schwarz als Titania und Sven Schelker haben wir gerade schon gehört als Esel und in anderen Rollen. Die Liebenden sind Nairi Hadodo, Fabian Krüger, Anne Haug und auch noch mal Sven. Und die haben so eine ganz eigene Form gefunden, diese Figuren in unsere Gegenwart zu holen. Und interessant ist dabei auch, dass sie auch einen Genderwechsel dabei haben. Und wir haben versucht, das so selbstverständlich aufzufassen wie bei Shakespeare, wo ja auch ganz häufig vorkommt, dass Männer eigentlich Rollen von Frauen spielen. Das hatte dort ganz andere Gründe. Es war sehr verpönt für Frauen, überhaupt im Theater zu sein und zu arbeiten, und wir haben das eher so in seiner Selbstverständlichkeit übernommen. Das hat dann sozusagen auch noch mal eine spezielle inhaltliche Komponente. Das Thema der Verwandlung ist bei uns in der Kompanie ja sehr zentral, mehr als alles andere vielleicht. Und so spielen wir auch diesen Sommernachtstraum auf einer relativ einfachen Bühne mit wenig Dekor, aber schönem Licht. Und das Spiel und die Verwandlung stehen im Zentrum. Genauso wie die Fantasie dann von den Spielerinnen und Spielern und natürlich auch von denen, die das Ganze sehen. Ich finde das beeindruckend, wie sie das machen und wie sie uns wirklich zweieinhalb Stunden in den Bann ziehen.

Mavi: Wie viel von Shakespeares Sprache kommt denn noch vor? Und habt ihr den Text aktualisiert?

Inga: Shakespeare kommt tatsächlich ausführlichst im Original vor. Auch die Sprache ist zentral. Wir bleiben auch dramaturgisch wesentlich am Original. Die es auch. Also die Dramaturgie ist einfach zu gut. Wobei das gar nicht so einfach zu proben ist, weil es eben keine grossen Bögen gibt, wie zum Beispiel einem dramatischen Stoff, sondern alle immer nur ganz kurze Auftritte haben. Allerdings haben wir schon eine wesentliche Änderung, die vielleicht etwas erstaunt, die aber, meine ich, letztlich wieder völlig bei Shakespeare ankommt. Und zwar, wir haben ja schon von dem Laientheater vorhin gesprochen und davon, dass zu Shakespeares Zeiten zu 80 % vielleicht Handwerker im Publikum angesprochen wurden und auch nur deshalb die Handwerker Szenen vielleicht so lustig sein konnten, weil es sich konkret an diese grosse Menge richtete. Und wir haben das Ganze nach guter Überlegung in ein Lehrerinnenkollegium verlegt. Das heisst, bei uns proben nicht die Handwerkerinnen und Handwerker Pyramos und Thisbe, bei uns sind es Lehrerinnen und Lehrer. Und so beginnen wir dann auch in der Schulaula und geraten dann immer tiefer in den Wald und in die Phantasie. Und am Ende laufen auch wieder alle Handlungsstränge in der Schulaula zusammen.

[Ausschnitt aus dem Stück]

Inga: Ich denke, man kann das durchaus ein bisschen lesen wie eine Hommage an die Lehrerinnen und Lehrer, die eben über all die Jahre die Fantasie und dieses Stück hochhalten. Wir haben auch immer wieder mit unserem Theaterpädagogen Martin Frank gesprochen. Er hat uns immer wieder auf den Proben besucht und manchmal auch ganz ernste Geschichten erzählt, wie bedeutungsvoll ja der Gebrauch der Fantasie ist und auch welchen, welche Rolle da das Theater auch manchmal im Schulkontext spielen kann. Gerade in Zeiten, in denen Kinder und Jugendliche ja wahrscheinlich doch viel Unsicherheit auch erleben, was ihre eigene Zukunftsperspektive betrifft, was vielleicht Fragen des Klimas betrifft. Sie erfahren auch gegenwärtig neuerdings pandemische Zustände und Krieg. Da schafft der Sommernachtstraum eine Form von Orientierung, natürlich nicht nur für die Jungen, auch für die Älteren. Und ist ja eigentlich sehr komplex geblieben. Er vereinfacht nicht die Frage unseres Zusammenlebens, sondern bereichert sie eigentlich um eine Ebene, eine richtig besondere, irrationale Welt, in der dann alle wieder zu Hause sein können und von der sie sich auch von der Angst vor den eigenen Träumen ein wenig befreien können. Wesentlich ist aber dabei auch nach wie vor die Unterhaltung, ein bisschen Ablenkung. Und das ist tatsächlich, wie ich meine, genau der Auftrag, den Shakespeare auf die ersten Seiten seines Stücks geschrieben hat: begeistere die Jugend von Athen und erleichtere sie von ihren leichten Zügen.

Mavi: Herzlichen Dank Inga, für diese spannende und informative Einführung. Ein Sommernachtstraum hatte am 17. Dezember im Schauspielhaus Premiere und läuft noch bis zum 10. April 2023. Das Stück dauert circa zweieinhalb Stunden. Weitere Informationen finden Sie unter www. Theater-Basel.ch 

Herzlichen Dank fürs Zuhören und bis bald.