Kaegis Klaenge: Die sieben Klangwelten Bartoks Der wunderbare Mandarin/Herzog Blaubarts Burg

Kaegis Klaenge: Die sieben Klangwelten Bartoks

‹Der wunderbare Mandarin/Herzog Blaubarts Burg› Info

Kaegis Klaenge. Ein Podcast des Theater Basel. 

Gabriela Kaegi: Eine Frau lässt alles hinter sich. Familie, Freunde, Heimat. Aus Liebe zieht Judith zu Herzog Blaubart, der in einer kalten, nassen und fensterlosen Burg haust, aus der kein Weg mehr zurückführt. Bei einem Rundgang durch die Festung entdeckt Judith sieben verschlossene Türen. Die will sie öffnen. Unbedingt. Und welche Welten sich da auftun und vor allem wie die klingen, das hören Sie in diesem Podcast zur neuen Produktion des Theater Basel, Herzog Blaubarts Burg, Oper in einem Akt von Bela Bartok. Hallo und herzlich willkommen, sagt Gabriela Kägi. Schön, dass Sie Lust auf Zuhören haben. 

[Musik aus dem Stück]

Ivor Bolton, der Dirigent der Basler Produktion und Chefdirigent des Basler Sinfonieorchesters, probt hier gerade diesen düsteren Anfang der Oper. Und er sagt über die Musik des 30-jährigen Bartoks:

Ivor Bolton: Es ist absolut einmalig. Das ist das erste Wort, das mir in den Sinn kommt. Bartok wollte die Musik finden, die der ungarischen Sprache am gerechtesten werden könnte. Und da ist er bei Debussys Oper Pelleas et Melisande fündig geworden und der Art, wie dieser einen möglichst natürlichen Sprachfluss vertont hat. Die ungarische Sprache ihrerseits ist voller lombardischer Rhythmen. Das wiederum bringt ihn zu ungarischer Volksmusik. Und so wie Debussy seine Vorbilder bei Lully und Rameau fand, so findet Bartok zu seinen Wurzeln. So gesehen ist das absolut einmalig.

Gabriela Kaegi: Gleich mehr von Ivor Bolton, wenn wir mit ihm hinter die sieben Türen hören. 

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaeg: Judith, folgst du mir? Fragt Blaubart, als er seine Braut durch das kalte Gemäuer seiner Burg führt. Und obschon Judith dabei der Atem stockt, antwortet sie: Ja, Blaubart, ich folge. Bedingungslose Liebe. Evelyn Herlitzius, die hier in Basel die Judith singt und spielt und Expertin ist für komplexe Frauengestalten auf der Opernbühne, sagt über diese Judith:

Evelyn Herlitzius: Ich denke, Judith ist ein Mensch, der wissen möchte, wie es um den anderen bestellt ist. Und sie ist ja diese Beziehung zum Blaubart eingegangen, wissend, dass es da auch Gerüchte gibt über ein eventuelles Vorleben, was nicht so… also diese Gerüchte, dass er ein Frauenmörder sei oder jedenfalls, dass da Frauen verschwunden sind. Das hat vielleicht so zu Beginn so eine übermässige Neugierde in ihr angefacht, aber ich glaube nicht, dass das ihr Grundthema ist. Judith Das Thema ist Ich gehe eine Beziehung ein mit einem Menschen, in den ich mich verliebt habe, und ich möchte wissen, wer du bist. Und da treffen sich dann halt zwei, weil Blaubart eben ein Mensch ist, der ungern Auskunft über sich gibt bis gar nicht. Und ich, Judith, will alles wissen vom ersten Schrei bis jetzt. Und Blaubart ist ein Mensch, der sich dadurch in die Ecke gedrängt fühlt. Und je mehr sie insistiert, umso mehr macht er natürlich zu.
 
Gabriela Kaegi: Der Bassist Christoph Fischer singt seinen ersten Blaubart, und auf meine Bemerkung Ungarisch, Rollendebut, grosse Partie, meint er:

Christof Fischesser: Nja, so gross ist die Partie gar nicht. Die grössere Partie ist die Judit. Also mit Sicherheit mal doppelt so viel zu singen. Liegt aber eben auch daran, dass der ja der Herzog eben mehr oder weniger so nicht aus dem Quark kommt. Judith fragt und fragt und so ein bisschen wie im richtigen Leben. Der Herr sträubt sich und gibt immer nur so knappe Antworten. Und sie redet und redet und will was wissen. Und es ist schon so ein bisschen habe ich mich ehrlich gesagt selbst erkannt in der Rolle. Also jetzt nicht als Frauenmörder natürlich, aber äh, ja, also ich weiss nicht, ob das ein Klischee ist, aber es ist schon oft so, dass die Frauen gerne was reden wollen und sich unterhalten wollen und die Männer so hm. Ja und was meinst du so? So naja. Und so fragt sie halt auch immer irgendwas und bzw. nach den Türen. Und er kommt halt nicht so richtig raus mit dem, was er so zu verbergen hat. Das kommt dann halt erst später. Und insofern hat sie gerade im ersten Teil wahnsinnig viel zu singen. Ja, und Herzog ist mehr oder weniger nur so ein Stichwortgeber.

Gabriela Kaegi: Ungarisch singen, sagt der Bassist Christof Fischesser…

Christof Fischesser: Es ist schon anders. Es ist nicht einfach, aber für mich ist es einfacher als französisch, weil die Franzosen so wahnsinnig viele verschiedene Vokale haben und so viele verschiedene A-Laute. Und insofern ist für mich Ungarisch besser zu singen als Französisch.

Gabriela Kaegi: Die Partie, sagt Christoph Fischesser, ist sehr entlang der Sprache komponiert. Blaubart, ein Stichwortgeber anfänglich, der nicht so richtig rausrückt.

Christof Fischesser: Und dementsprechend ist auch die Musik für den Herzog. Es sind immer nur so ein paar Sätze, und auch die Musik ist meistens in Moll für ihn geschrieben. Seinen ersten grossen richtigen Ausbruch, wo er auch wirklich mal was erzählt, das ist eigentlich vor der fünften Tür. Das ist diese grosse C-Dur-Akkord, wo dann noch die Orgeln spielen, ein Riesengetöse. Und da erzählt er dann mal ein bisschen was. Und das ist komischerweise dann auch in Dur.

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Evelyn Herlitzius ihrerseits, die sich auskennt mit russischen und tschechischen Opernpartien, findet Ungarisch zum Singen… 

Evelyn Herlitzius: …herrlich. Ja, also man muss sich ein bisschen beim Studium… das war für mich eine Herausforderung, mich umzugewöhnen in der Vokalreihung, weil da oftmals dunkle und helle Vokale also oder offene und geschlossene Vokale in einer Reihenfolge auftreten, die es im Deutschen nicht gibt, auch in anderen Sprachen nicht gibt. Das ist also das A und O, so oft direkt aufeinander folgt. Es gibt es so in anderen Sprachen nicht, die ich bislang gesungen habe. Und das ist wie bei jeder neuen Sprache, die ich singe, erfordert so ein wirkliches Muskeltraining, also dass die Artikulationsmuskulatur das richtig übt. Das heisst, ich singe das nicht nur, sondern versuche es ganz übertrieben, erst mal nur zu sprechen, so um die Muskulatur und das Ohr an diesen Vorgang zu gewöhnen. Und das war eine Hürde. Wenn man das aber geschafft hat, dann ist es sehr schön zu singen, gerade aufgrund dieser vielen offenen Vokale. Das ist etwas, was ich persönlich sehr mag. Ich kenne auch Kollegen, die fühlen sich wohler mit geschlossenen Vokalen. Aber jetzt bei mir trifft es gerade die Richtige. 

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Jetzt also zu den sieben verschlossenen Türen in Blaubarts Burg, zu denen Judith schliesslich nach vielen Worten, Schmeicheleien und Liebesgeständnissen die Schlüssel kriegt und sie öffnet. Mit sieben Herzkammern oder mit den inneren Schichten Blaubarts werden diese verschlossenen Türen auch gerne verglichen. Wie auch immer, sie definieren die Struktur des Stücks und sind das eigentliche Herzstück der Oper. Bartok hat für jede Kammer eine eigene Farbe, eine eigene Instrumentierung gesucht und jeder so einen eigenen Charakter gegeben. Der Dirigent Ivor Bolton zur ersten Tür hinter der Blaubarts Folterkammer liegt, in blutrotem Licht, steht im Libretto. Und wo Ketten, Messer, Widerhaken, glühende Spiesse hängen oder liegen.
Ivor Bolton: Bartok verwendet hier Xylophon, und zwar so virtuos, dass für die Uraufführung sogar ein xylophonartiges neues Instrument entwickelt wurde, das nur von einem Musiker gespielt werden konnte. Xylophon, das klingt nach Knochen, klingt brüchig, nach Folterkammer und ist ein besonderer Effekt.

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Als Judith die zweite Tür öffnet, sieht sie rötlich-gelbes Licht und darin viele 1000 scharfe Waffen, viele 1000 Kriegsgeräte. Das ist Blaubarts Waffenkammer.
Ivor Bolton: Die Musik dazu klingt etwas pentatonisch. Strahlende Blechbläserklänge, Trompeten, Hörner in den Primärfarben Rot, Blau, Grün. Dann dazu die grelle Es-Klarinette. Das ist alles ziemlich derb und scharfkantig.

[Musik aus dem Stück]

Ivor Bolton: Dann kommen wir zur dritten Tür, zur Schatzkammer. Das ist in strahlendem D-Dur mit glitzernder Celesta für all den Schmuck, die Prunkgewänder, Diamanten, Perlen und Kronen. Alles schimmert und strahlt und ist sehr hell, besonders wenn Judith die goldene Pracht besingt und begleitet wird von zwei Solo-Violinen in Ganztönen. Das klingt irgendwie ahnungslos und beeindruckt.

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Hinter der Tür Nummer vier liegt Blaubarts Zaubergarten, eine blaugrüne, duftende Blütenpracht.
Ivor Bolton: Die ersten vier Takte könnten auch von Richard Strauss sein. Ein wunderschönes Hornsolo beginnt auf einem G, aber eine schreiende Klarinette dazu auf Fis sticht regelrecht in die Haut. Trotz Lilien, Rosen und Nelken ist alles voller Blut und voller Dissonanz.

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Dann kommen wir zum Höhepunkt, der Türe Nummer fünf. Schön und gross sind deine Ländereien – Judith verschlägt es fast die Sprache.
Ivor Bolton: Ein volles Orchester, C-Dur diatonisch, die Farben hell, licht, weiss, dazu alles aufbietbare Blech. Dann Orgel, und zwar Organo pleno plus Bühnenmusik. Das ist ein ganz grosser Augenblick in der Partitur. Und Blaubart singt in entsprechend bombastischem Ton dazu. Als Gegensatz dann, was Judith singt oder fast mehr spricht, ganz ohne Orchester. Da wirkt sie kraftlos und fragil.

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Bleiben uns noch zwei Türen. Die Nummer sechs, das Tränenmeer…

Ivor Bolton: Das ist die umfangreichste Tür, das längste Stück. Und hier beginnen sich Judiths Ängste zu bestätigen, dass es vielleicht doch stimmt, was man sich so über Blaubart erzählt, dass er ein Frauenmörder sei. Eine Tür mit sehr viel Atmosphäre, mit schattenhaften Klängen, Harfe, Celesta, Perkussion, Spielen, Klangwellen, die immer wieder verebben. Dann die klagende Oboe. Sehr hermetisch und eine lange Geschichte. Und vermutlich ist das der Moment, wo Judith die Situation akzeptiert, in der sie sich befindet. Das hier ist richtig grosses Kino.

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Und die Nummer sieben, die letzte Kammer, da findet schliesslich Judith ihre Vorgängerinnen. Blaubarts drei Frauen. Sie leben und sind reich geschmückt. Die erste ist der Morgen, die zweite ist der Mittag, die dritte ist der Abend. Nachts fand ich die vierte, singt Blaubart und schmückt Judith mit Krone, Geschmeide und einem Sternenmantel.

Ivor Bolton: Es beginnt mit einem berührenden Duett zwischen Englischhorn und Klarinette. Sehr innig, sehr expressiv, aber auch irgendwie schleppend. Quintolen gegen Triolen. Und wenn sie dann die Frau der Nacht wird, verdunkelt sich die Partitur wieder nach Fis-Moll, wie zu Beginn.

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Eine knappe Stunde dauert diese Oper. Und ein Theater, das Blaubart auf den Spielplan setzt, muss sich in der Regel überlegen, was davor oder eventuell auch danach noch gespielt wird. Schönbergs Erwartung zum Beispiel. Poulencs La voix humaine. Strawinskys Ödipus Rex. Oder vielleicht eine komische Oper von Leon Cavallo oder eine barocke Oper von Telemann oder sogar die Opera bouffe Barbe Bleu von Offenbach. Es gibt die wildesten Kombinationen. Hier in Basel waren sich der musikalische Leiter Ivor Bolton und der Regisseur Christof Loy einig, dass…

Christof Loy:  …wir unbedingt bei Bela Bartok als Komponisten bleiben wollten, als wir uns entschieden haben, welches Stück noch in infrage kommt, davor oder danach. Und uns war irgendwie klar, dass Blaubart als das Zentrum, auch weil es ein Stück, was noch mehr so auf ein Ende hinläuft, dass das das zweite Stück am Abend sein soll. Und davor haben wir uns dann entschieden, es gibt ja von Bartok als einziger Oper nur den Blaubart, aber es gibt andere Theaterstücke von ihm, die alle Tanz- oder Ballettstücke sind. Und wir haben uns entschieden, den wunderbaren Mandarin zu machen, weil das selbst von Bartok als Pantomime eigentlich bezeichnet ist. Das war dann auch ein Genre, was ich mir zutraue als Regisseur, der immer auch sehr nahe am Tanztheater, am Tanz ist. Und inhaltlich bringt der Mandarin so etwas sehr, so ungelöst Chaotisches, was perfekt eigentlich ist, als eine Welt zu zeigen vor dieser Blaubart-Welt, wo man ja das Gefühl hat, es kommen eigentlich nur noch die beiden letzten Überlebenden einer Endzeitkatastrophe zusammen und scheitern auch noch aneinander.

Gabriela Kaegi: Sagt Christof Loy. Der wunderbare Mandarin hat Bartok acht Jahre nach dem Blaubart komponiert. Eine heftige Geschichte, in der es um Freier, Zuhälter, Huren und Mörder geht, zu der Bartok eine motorische, aggressive, aufpeitschende und laute Musik geschrieben hat. Mit dem Resultat, dass das Werk damals bei seiner Uraufführung in Köln einen regelrechten Theaterskandal provozierte und sogleich vom Spielplan genommen wurde. 

[Musik aus dem Stück]

Kurz die Geschichte: Eine Frau wird gezwungen auf den Strich zu gehen von einem Zuhältertrio, das dann jeweils die Freier ausraubt. Den Mandarin aber, der für die drei ein ganz grosser Fisch zu sein scheint, den bringen sie um. Erst ersticken sie ihn, dann erstechen sie ihn und schliesslich hängen sie ihn auf. Aber erst als die Frau Mitleid mit ihm hat und für ihn tanzt, stirbt er.

[Musik aus dem Stück]

Christof Loy: Ich hatte – und das ist, glaube ich, dann das Besondere an unserem Abend, nach der Heftigkeit der ganzen Mandarinengeschichte, bevor wir Blaubarts Burg betreten –hatte ich das Bedürfnis nach so einem kathartischen Moment der Nachdenklichkeit, aber auch sogar, weil man nach dem Mandarin fast sich so unerlöst fühlt, dass es so einen Moment der Katharsis auch geben soll, dass man auch sich doch ein bisschen reinigt von dem Schmutz, der in der Mandarinwelt auftaucht. Und da bin ich auf diese unglaublich meditative Musik gestossen, den ersten Satz von einem grossen Orchesterwerk, das Bartok in den dreissiger Jahren geschrieben hat, diese Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta. Und da ist besonders der erste Satz passte für mich ideal. Dieser erste Satz ist wie ein reinigenden Moment, den man hat, genau im Zentrum des Abends.

Gabriela Kaegi: Eine Musik übrigens, die Bartok für Paul Sacher und sein Kammerorchester Basel komponiert hat.

[Musik aus dem Stück]