Stückeinführung Lady in the Dark

Stückeinführung

‹Lady in the Dark› Info

[Musik aus dem Stück]

Nadja Camesi:
Hallo. Sie hören den Einführungs-Podcast vom Theater Basel. In dieser Folge erzählt uns die Operndramaturgin Meret Kündig Kündig, was uns beim Musical Play ‹Lady in the Dark› von Kurt Weill erwartet. Inszeniert wird das Stück hier am Theater Basel von Martin G. Berger und es spielt das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Thomas Wise. Mein Name ist Nadja Camesi und ich freue mich, dass Sie zuhören. Hi Meret Kündig!

Meret Kündig:
Hallo!

Nadja Camesi:
Ja. Martin G. Berger ist kein Unbekannter hier in Basel. Er hat hier bereits ‹La Cage aux Folles› mit Erfolg inszeniert. Und mit ‹Lady in the Dark› arbeitet er auch teilweise wieder mit den gleichen Leuten wie damals. Also Stefan Kurt ist dabei, Martin Hug. Sie haben die Hauptrollen in ‹La Cage aux Folles› gespielt. Und jetzt die Hauptrolle in ‹Lady in the Dark› wird gespielt von Delia Meyer, eine Schweizer Sängerin und Schauspielerin, die manche von uns ja noch aus dem Tatort, aus dem Luzerner Tatort kennen. Genau. Und Weill wiederum ist für seine Werke mit Bertolt Brecht vor allem bekannt. Mahagonny, Dreigroschenoper sind so die grössten Namen, die man nennen kann. Aber es gibt noch einen anderen Weill, den sogenannten amerikanischen. Was heisst das?

Meret Kündig:
Genau. Kurt Weill ist auf jeden Fall für seine Werke, die er mit Bertolt Brecht geschrieben hat, bekannt bei uns und seine amerikanischen Musicals sind gar nicht so häufig auf den Spielplänen bei uns. Weill ist zwar ein deutscher Komponist, stammt aus Dessau, aber er ist am Ende seines Lebens in die USA emigriert. Er stammt aus einer jüdischen Familie und musste dann ins Exil, in den Dreissigerjahren. War zuerst in Frankreich für zwei Jahre und dann später in New York. Und am Ende seines Lebens hätte er, glaube ich, nicht gesagt, dass er ein deutscher Komponist sei, sondern hat sich sehr stark mit dem Amerikaner sein identifiziert und hat auch kein Wort Deutsch mehr gesprochen, als er dort war. Also er hat wirklich diese Sprache angenommen wie eine neue Identität und hat auch die Staatsbürgerschaft sogar angenommen. Und Weill war eben fasziniert von der amerikanischen Tradition des Musiktheaters, die sehr viel kürzer war. Also nicht so wie in Europa so vorbelastet, sondern eine ganz andere Art und Weise Theater zu spielen. Und die hat eben ein ganz viel breiteres Publikum angesprochen als die Oper in Europa, die Weill eher als elitär erlebt hatte. Und ‹Lady in the Dark› kam dann 1941 zur Premiere am Broadway und war sein grosser Durchbruch dort. Das Stück wurde sehr gut aufgenommen und hat Weil dann schliesslich seine finanzielle Sicherheit gebracht.

Nadja Camesi:
Was hat denn Weill am Broadway und an diesem amerikanischen Musiktheater so interessiert?

Meret Kündig:
Wie gesagt, ich glaube, er wollte schon immer die Menschen erreichen, Menschen berühren. Das hat er auch bei der Zusammenarbeit mit Brecht immer gemacht. Also seine Musik war immer irgendwo emotional, obwohl es natürlich in diesen Stücken auch mit diesem V-Effekt (Verfremdungseffekt nach Brecht) und dieser Entfremdung und so weiter mit Brecht da auch eine andere Härte drin war. Aber seine Musik war immer irgendwie direkt oder irgendwie ja emotional. Und Weill hat sich auch immer mit den vorhandenen Stilen auseinandergesetzt. Auch in Frankreich hat er den französischen Ton aufgegriffen und eben dann in den USA hat er geschaut, was gibt es da am Broadway, was sind das für Stücke, was ist das für eine Musik? Und das hat er dann sehr stark aufgenommen. Er wollte aber auch diese amerikanische Tradition erweitern und also das passierte ihm auch automatisch, weil er hat eine sehr europäische Ausbildung auch genossen. Also er studierte bei Humperdinck und später bei Busoni und hat früher sehr, sehr komplexe Werke geschrieben in seiner jüngeren Zeit und hat dann diese Komplexität auch immer wieder integriert, auch in diese populäreren Werke später. Also immer sind diese Nebenstimmen und diese komplexe Harmonik scheint immer wieder durch.

Nadja Camesi:
Dann hören wir doch gleich ein erstes Mal ins Stück rein.

[Musik aus dem Stück]

Nadja Camesi:
Dieses Stück hat eine besondere Form. Es besteht einerseits aus gesprochenen Dialogen und andererseits aus längeren Musikstücken, die so ein bisschen wie Mini-Opern dastehen innerhalb des Stücks. Ist das typisch für Broadway?

Meret Kündig:
Also dass es gesprochene sowie gesungene Teile gibt und eben auch Tanzeinlagen, das sind alles Bestandteile eines Broadway Musicals. Also das war keine grosse Neuerung. Aber diese Musicals, die damals gespielt wurden, auch Musical Comedys genannt teilweise, das sind eher revueartige Formen. Da haben die musikalischen Nummern eine Eigenständigkeit. Und die Handlung passiert nicht in diesen musikalischen Teilen, sondern eher in den gesprochenen Dialogen. Und die werden eben unterbrochen durch diese Songs. Und was Weill von der europäischen Oper dann übernommen hat, ist, dass die Musik selbst auch eine narrative Funktion hat. Die Charaktere entwickeln sich dann auch weiter, auch in den musikalischen Teilen und auch die Story geht dann darin weiter. Und in ‹Lady in the Dark› ist es ein ganz besonderes Merkmal, von dieser Struktur sind die Musik Teile stark inhaltlich begründet. Diese Nummern sind nämlich die Träume, die Traumwelten von der Protagonistin Liza Elliott.

Nadja Camesi:
Kurt Weill war es auch immer wichtig, mit guten Autoren zusammenzuarbeiten und zeitgenössische Stoffe auf die Bühne zu bringen, weil das für das Publikum relevanter ist. Mit wem hat er denn in diesem Fall zusammengearbeitet?

Meret Kündig:
Also ich glaube, er wollte mit seinen Werken immer auch etwas erzählen. Es ging ihm – er ist wirklich ein Theatermensch – es ging ihm nie nur um die Musik und es ging ihm eben auch darum, Menschen zu erreichen. Und für ‹Lady In The Dark› hat er sich mit Moss Hart zusammengetan, dem Autor, und Ira Gershwin, der die Songtexte geschrieben hat. Das ist der Bruder von George Gershwin. Und die haben dann einen Stoff aufgegriffen, der sehr populär war und sehr in Mode zu der Zeit, und das ist die Psychoanalyse. Moss Hart war selber auch in Psychoanalyse und hat sich sehr stark damit auseinandergesetzt. Und auch das Thema Frauen in Führungspositionen war damals sehr virulent, würde ich sagen. Frauen haben erstmals angefangen, in die Arbeitswelt einzutreten und sind eben auch nach und nach in die Chefetagen aufgestiegen. Es war damals also erst mal aufsehenerregend, würde ich sagen, eine Geschichte über eine Chefin und ihre gesellschaftlichen Konflikte auf die Bühne zu bringen. Und auch heute sind ja diese Konflikte noch nicht so ganz überwunden, auch wenn sie sicher heute vielleicht anders dargestellt werden oder anders verhandelt.

Nadja Camesi:
Genau. Und somit bist du jetzt schon mal ein bisschen auf diese Lady in the Dark eingegangen. Wir haben die Handlung noch gar nicht erzählt. Kannst uns mal erklären, worum es da geht in diesem Stück?

Meret Kündig:
Also Liza Eliot ist die Chefin eines Modemagazins und sie ist normalerweise eine sehr kontrollierte Person und sie befindet sich aber zu Beginn des Stücks in einer sehr tiefen emotionalen Krise. Und sie beschliesst dann, einen Therapeuten aufzusuchen – bei uns ist es eine Therapeutin – und erzählt dort von ihren Träumen. Also eine klassische Psychoanalyse-Situation, wo man Zugang zu dem Unterbewussten sucht. Und nach und nach lernen wir ihr Hauptsymptom kennen: das ist nämlich die Entscheidungsunfähigkeit. Also sie ist hin und hergerissen zwischen verschiedenen Männern und kann sich auch im Arbeitsleben nicht mehr zurechtfinden, kann keine Entscheidungen mehr treffen. Und sie ist mit Kendall Nesbitt nicht verheiratet, sondern zusammen. Er ist verheiratet mit einer anderen Frau. Das stört sie aber nicht weiter. Sie haben sich darin arrangiert. Und Kendall sagt dann: «Ich habe meine Frau jetzt verlassen für dich.» Und da merkt sie: «Ach, das will ich überhaupt nicht.» Also, es ist ein erstes Anzeichen von ihrer Verlorenheit, dass sie plötzlich gar nicht mehr weiss, dass sie das, was sie immer dachte, das sie will, eigentlich gar nicht will. Und es gibt einen neuen Mann, für den sie sich interessiert. Was ich aber auch irgendwie dann nicht erfüllend als erfüllend herausstellt. Und im Laufe des Stücks erinnert sie sich an ihre Kindheit. Und da ist auch dann der Knoten ihres Traumas, und zwar ihre Eltern. Sie hat eine sehr schöne Mutter und ihr Vater hat sie immer mit ihrer Mutter verglichen. Sie haben sie also sehr in diese Rolle des hübschen Mädchens gedrängt und aber gleichzeitig ihr gesagt, dass sie dieser Rolle nicht entspricht. Und das Ganze hat sich wiederholt, auch in der Grundschule, da musste sie eine Prinzessin spielen. Der Junge, der aber den Prinzen spielen wollte, hat gesagt: «Du bist aber zu hässlich dafür!» und so weiter. Man sieht, es sind immer die gleichen Muster. Es geht eigentlich darum, gesellschaftliche Erwartungen an sie als Frau oder als Mädchen nicht erfüllen zu können. Und so beginnt sie dann mit der Zeit zu verstehen, woher ihre Selbstwahrnehmung kommt und ihre Komplexe auch. Es wurde ihr eingeredet von der Gesellschaft. Und diese Träume, die lassen sich auch so deuten, dass da immer unterschiedliche Institutionen, gesellschaftliche, autoritäre Institutionen vorkommen, wie die Schule, die Ehe, die Eltern eben. Eine Gerichtsverhandlung gibt es auch. Ja, und so setzt sich die Erinnerung an dieses Kindheitstrauma nach und nach zusammen im Laufe des Stücks. Und diese Erinnerung wird auch musikalisch symbolisiert, dieser ganze Prozess des Erinnerns durch ein Lied – My Ship heisst das – und das ist ein sehr berühmt gewordenes Lied, das sehr oft gecovert wurde auch. Und das setzt sich eben auch in der Komposition nach und nach zusammen. Und erst am Ende erinnert sie sich komplett an das Lied und eben auch an den Text.

[Musik und Gesang aus dem Stück]

Nadja Camesi:
Du hast ja gerade beschrieben, was das für ein Stoff ist. Das klingt ja eigentlich erst mal für uns auch extrem progressiv für ein Stück, was in den Vierzigern rausgekommen ist. Bietet denn Kurt Weill auch eine Auflösung dieses Konflikts an?

Meret Kündig:
Ja, das ist so der Punkt wahrscheinlich, wo man die Datiertheit auch ein bisschen von diesem Stoff aufzeigen kann. Also in der Auflösung, die im Stück, die das Original vorschlägt, da sieht man deutlich, dass es eben aus den Vierzigern stammt, weil eigentlich analysiert es die Problematik so, weil Liza sich selbst für unweiblich hält, wie wir gesehen haben, aufgrund ihrer Eltern und so weiter, beschliesst sie dann, als Chefin eine männliche Rolle anzunehmen. Und dann verliebt sie sich nämlich im Original in einen dritten Mann: Charly, der ihr Kollege ist und der eigentlich Chef werden will und der sagt: «Ich möchte auch Chef sein oder ich möchte Chef sein, sonst gehe ich.» Und sie sagt dann am Ende: «Okay, Charlie, du darfst Chef sein, wir können ja zusammen Chef sein. Und vielleicht gehe ich dann auch irgendwann.» Und da findet sie quasi zu ihrer Weiblichkeit zurück. Ja, und das ist natürlich eine Deutung, die aus heutiger Perspektive ein bisschen problematisch ist.

Nadja Camesi:
Und wie geht denn unsere jetzige Inszenierung damit um?

Meret Kündig:
Also Martin Berger hat insbesondere mit der Interpretation und Besetzung auch der Rolle von Charly dem Stück eine andere Wendung gegeben. Im Original ist das ja so ein Alphamännchen und bei uns ist das ein junger, ein junger Mann, der auch gar nicht unbedingt heterosexuell ist. Und diese Liebesthematik, dass die am Ende zusammenkommen, die fällt schon mal weg oder tritt in den Hintergrund. Es kommt aber damit ein neues Thema mit hinein, das auch viel näher dran ist an unserer Zeit und an unseren Fragestellungen, die uns heute vielleicht beschäftigen. Und zwar so eine Art Paradigmenwechsel in Bezug auch auf Schönheitsideale. Und das erzählt Martin Berger hier anhand von unterschiedlichen Generationen in der Redaktion. Und da ist eben Charly der Hauptvertreter. Also diese Interpretation von Charly. Und zusammen mit den anderen jüngeren Kolleg:innen versucht er Dinge zu verändern. Das betrifft Arbeitsstrukturen, also zum Beispiel wollen die flachere Hierarchien, aber auch ästhetische oder inhaltliche Ausrichtung des Magazins, was Schönheitsideale betrifft, weil sie wollen nicht länger diese normierten Schönheitsideale weitertragen, sondern sie wollen das erweitern. Sie wollen eine Vielfalt. Normale Körper dürfen vorkommen, die diese Perfektion ein bisschen aushebeln. Das ist eigentlich das Ziel von dieser neuen Generation.

Nadja Camesi:
Und was wollt ihr mit diesem etwas anders erzählten Ende ausdrücken?

Meret Kündig:
Genau. Einfach statt dass Liza mit Charlie als Hetero-Alpha-Mann zusammenkommt und ihre Weiblichkeit darin erfüllt, geht es eben viel stärker um das Zusammenführen von zwei Generationen und das Versöhnen von diesem Konflikt.

Nadja Camesi:
Vielen Dank für diese Einführung, Meret! ‹Lady in The Dark› ist bis zum 20. Juni 2023 zu sehen auf der Grossen Bühne. Das Stück dauert zwei Stunden, 45 Minuten mit Pause. Mehr Informationen finden Sie auf www.theater-basel.ch