Kaegis Klaenge: Eigenwillig, genial, aktuell Lady in the Dark

Kaegis Klaenge: Eigenwillig, genial, aktuell

‹Lady in the Dark› Info


Kaegis Klaenge. Ein Podcast des Theater Basel.

Sprecher als Moss Hart: An einem regnerischen Nachmittag sassen Kurt Weill und ich an einem Tisch in einem kleinen Restaurant in Midtown und erzählten uns vehement, warum wir keine musikalische Komödie schreiben würden. Wir hatten uns verabredet, um zu sehen, ob wir nicht zusammen eine Show machen könnten und hatten mit grossem Erfolg festgestellt, dass wir es nicht konnten. Und so trennten wir uns in völliger Übereinstimmung.

Gabriela Kaegi: So fängt das an mit Moss Hart und Kurt Weill. Es dauert noch ein paar Jahre, aber dann landen sie zusammen – und als Dritter kommt noch Ira Gershwin hinzu – den grossen Broadway-Wurf, Lady in the Dark. Hallo und herzlich willkommen zu diesem Podcast. Ich bin Gabriela Kaegi und freue mich, Ihnen etwas über die Musik dieser neuen Produktion am Theater Basel zu erzählen. 

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Moss Hart ist, als er und Weill sich zum Lunch treffen, bereits ein erfolgreicher Bühnenautor, der mit den Gesetzen des Broadway bestens vertraut ist. Kurt Weill seinerseits ist ein erfolgreicher Komponist in Deutschland, der Ende der 20er Jahre gemeinsam mit Brecht und ihrer Dreigroschenoper das Berliner Publikum in sie der Hitze gebracht hat. Aber von den Nazis vertrieben, fängt er 1935 in New York nochmals von vorne an. Und der Dritte im Bunde ist der Song Texter Ira Gershwin, der nach dem frühen Tod seines Bruders Georges erst einmal verstummt, dann ab und zu ein paar Lyrics verfasst und erst mit ‹‹Lady in the Dark›› wieder ernsthaft zu arbeiten beginnt. Worauf man sich einigt: Weill will keine Komödie, Hart kein Musical. Dafür entscheiden sie, dass es eine Show werden würde, in der die Musik die wesentliche Geschichte erzählt. Dann geht es los. Wobei auch Gershwin und Weill erst noch ein Missverständnis zu klären haben. Der Komponist Weill wünscht sich vom Textdichter:

Zitat: So ein paar verirrte Texte, mit denen er herumalbern könne.

Gabriela Kaegi: Der Textdichter hingegen macht dem Komponisten klar, dass neun von seinen zehn Texten auf bereits komponierte Musik entstanden sind. Und so kommt es, dass in einem der heissesten Sommer Weill täglich nach Manhattan zu Gershwin fährt. Von mittags bis abends wird zusammen gearbeitet, dann Nachtessen, danach geht es am Klavier weiter. Um 11 Uhr oder um 12 Uhr fährt Weill wieder heim, Upstate New York, und für Gershwin fängt die Knochenarbeit an. Bis um 4 Uhr oder 5 Uhr in der Früh sitzt er am Schreibtisch und schmiedet Verse auf die Musik, die ihm Weill dagelassen hat. 

[Musik und Gesang aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Die Idee, die Moss Heard für die Geschichte hat, ist eigenwillig, genial, aktuell und war bis anhin sicher noch nie so auf einer Broadway-Bühne zu sehen. Nämlich: Erfolgreiche Frau hat ein Burnout und sucht einen Psychiater auf. In diesen Sitzungen taucht sie in ihre Vergangenheit ein, um den Grund ihres Problems zu erforschen. «Dreams» heissen diese Erinnerungssequenzen, in denen ausschliesslich die Musik das Sagen hat. Für jeden dieser insgesamt vier Träume schreibt Weill eine Mini-Oper. In der ersten geht es der Patientin – sie heisst Liza Elliott und ist erfolgreiche Chefredakteurin eines Modemagazins – geht es ums Berühmt und Geliebt sein, um Aufmerksamkeit und Zuwendung. «Glamour Dream» heisst deshalb dieser Traum. Um sich für den richtigen Mann zu entscheiden, darum geht es im Zweiten, dem Wedding Dream, der ziemlich albtraumartig endet. Weil sie sich aber weder für einen Mann noch für ein Titelblatt noch für sonst etwas entscheiden kann, wird Liza Elliott vor Gericht gestellt: Im dritten, im ziemlich abgefahrenen «Circus Dream». Und im vierten und letzten schliesslich, im «Childhood Dream», findet sie dann endlich, was sie so lange gesucht hat: Ein Lied aus ihrer Kindheit, das sie davor stets nur in Bruchstücken verfolgt hat, wie ein Leitmotiv in unterschiedlichen Gestalten immer wieder aufgetaucht ist.

[Musik und Gesang aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Und erst als sie es beisammen hat, scheint sie auch bei sich angekommen zu sein.

[Musik und Gesang aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Die Idee ist grossartig. Ein musikalisches Thema übernimmt sozusagen das Erzählen und wird zum Kitt, der die Geschichte zusammenhält. Das ist, was Weill mit seinen radikalen Äusserungen über das musikalische Theater meint.

Sprecher: Das Ziel und der Sinn des musikalischen Theaters ist die Verbindung von Wort und Ton, die gründlichste Durchdringung der beiden. Nur wenn Wort und Ton sich wahrhaftig zum Lied verbinden, kann man von echtem musikalischem Theater sprechen. Ein Lied ist nicht einfach eine Unterbrechung der Handlung, die auch ohne es durchaus fortgeführt werden könnte, es ist ein unabdingbares Hilfsmittel zum Verständnis des Stücks und seiner Natur. Es überträgt die Handlung des Stücks auf eine andersartige und höhere Ebene.

Gabriela Kaegi: Gleichzeitig übernimmt dieser Melodiefetzen aber auch eine Brückenfunktion, führt Liza in ihren Traum hinein und wieder hinaus und das Publikum mit ihr. In Basel singt und spielt Delia Mayer die Liza Elliott und sie beschreibt ihren Charakter so:

Delia Mayer: Eine Frau, der es nicht gut geht und die das nicht merkt und die das nicht wahrhaben will und das wegdrückt und wegdrängt, bis der Körper versagt, bis die Emotionen versagen. Und sie sagt, ich habe kein Problem, ich weine nur die ganze Zeit, aber der Rest ist ja in Ordnung. Und das ist ja etwas, dem man überall begegnet, was sehr heutig ist und sehr modern ist. Wir müssen alle funktionieren und dürfen nicht einknicken.

Gabriela Kaegi: Ihr Gegenspieler ist nicht etwa einer ihrer Liebhaber, sondern ein Photograph ihrer Zeitschrift: Russell Paxton, eine übermütige, eine witzige und ziemlich geschwätzige Figur. Stefan Kurt zu diesem Russell Paxton.

Stefan Kurt: Der ist eine totale Buffo-Rolle. Merkt man ja auch schon im Text. Der hat die Pointen – hoffentlich dann: toi, toi, toi – die Lacher. Ja klar, das ist eine typische Buffo-Rolle.

Gabriela Kaegi: Und es gibt auch ein unglaubliches Buffo-Stück, könnte bester Rossini sein: die Tschaikowsky-Nummer.

Stefan Kurt: Ja, das ist ein typischer Sprechgesang, ein Patter Song, das habe ich auch gelernt, jetzt wie ich ein bisschen recherchiert habe. Ja, das ist, wie soll ich das sagen, zur Unterhaltung beitragen. Es ist ein bisschen wie Sport, diese 50 russischen Namen so schnell wie möglich aufsagen zu können. Danny Kaye hat es ja zur Vollendung gebracht. Also der wurde ja auch erst richtig bekannt mit diesem Stück. Und sein Ehrgeiz war das natürlich, immer schneller, schneller sprechen zu können. Er hat es dann bis unter eine Minute, glaube ich, gebracht.

Gabriela Kaegi: Und wo sind Sie zurzeit?

Stefan Kurt: Ich habe es noch gar nicht gestoppt. Aber toi, toi, toi, bisher habe ich es geht es eigentlich ganz gut. Also ich versuche mich immer schneller da rein zu grooven.

Gabriela Kaegi: Was reimt sich auf Rachmaninow? 

Stefan Kurt: Gretschaninow [lacht]

Gabriele Kaegi: Und auf Glinka?

Stefan Kurt: [Zitiert die Textstelle aus dem Stück]

[Musik und Gesang aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: 50 Namen ohne Punkt und Komma heruntergerasselt und das unter einer Minute. Wie hat das Stefan Kurt in den Kopf reingekriegt?

Stefan Kurt: Ja, das hat mich jetzt selber auch erstaunt. Ich habe es zuerst ein bisschen grafisch versucht zu lernen mit den Namen, dass ich auch immer die Anfangsbuchstaben verschieden farbig angelegt habe. Das hat überhaupt nichts genutzt, eigentlich. Es ist wie mit jedem Text. Ich arbeite sehr viel über die Melodie und über das Wiederholen, einfach bis sich das in den Kopf hineinfrisst. Eigentlich, dass man auch gar nicht mehr gross überlegen kann und darf. Also ich übe im Moment eher, dass ich den Text sage und dabei noch versuche, etwas anderes zu lesen. Also, dass der Text so drin ist im Kopf, dass ich, weil man auf der Bühne hat man dann keine Zeit mehr zu überlegen, weiss was als nächstes kommt. Das muss einfach flutschen.

Gabriela Kaegi: Zurück zu Weill und der Musik, die er für ‹Lady in the Dark› komponiert hat. Von einem Musical wird in der Regel gesprochen, wenn in einem Theaterstück Songs gesungen werden, wenn dazu getanzt oder über eine Hintergrundmusik gesprochen wird. Anders ist es bei ‹Lady in the Dark›. Weill selber nannte es «A Musical Play». Und der Dirigent Thomas Wise, der die Basler Produktion leitet, erklärt, was damit gemeint ist. Er zitiert Weills Credo.
Thomas Wise: Kurt Weill hat geschrieben oder gesagt: «Die besondere Form musikalischer Unterhaltung, an der ich von Anbeginn interessiert war, ist eine Art dramatisches Musical. Eine einfache, fesselnde Geschichte, erzählt in musikalischer Sprache, wobei das gesprochene und das gesungene Wort so verknüpft werden, dass der Gesang ganz natürlich dort einsetzt, wo die Emotionen des gesprochenen Wortes einen Punkt erreicht, an dem die Musik mit grösserer Wirkung sprechen kann.» Weiter über dieses Stück schreibt er: «Ein durchschlagender Erfolg ist mir jetzt mit ‹Lady in the Dark› zuteilgeworden. Das Neue der Form wurde vom Publikum glänzend aufgenommen. Es besteht darin, dass zu einem realistischen Spiel umfangreiche, abgeschlossene musikalische Szenen treten. Der Dialog wird mehrfach für längere Zeit unterbrochen. Es kommt dann zu einer Art Oper mit Chor und Ballett. Ariose Melodien, mehr im Sinne verdischer Opernkunst werden benutzt, ausserdem werden Songs eingeführt.» Also, ich finde das ganz enorm. Es war 1941, als das Stück uraufgeführt wurde, eine absolute Neuheit, und es war der erste grosse Erfolg von Kurt Weill in Amerika. Und ab dann ging eigentlich sein Leben einen anderen Weg.

Gabriela Kaegi: Der junge Weill war ein Schüler von Engelbert Humperdinck. Geprägt wurde er aber vor allem von Ferruccio Busoni und, sagt Thomas Weiss, wenn seine Musik auch komplex geschrieben ist, sie hat doch immer eine grosse Natürlichkeit. Daran hat auch New York nichts geändert.

Thomas Wise: Und als er nach Amerika gegangen ist, hat er seine Handschrift beibehalten. Man wird erleben, auch ‹Lady in the Dark›, dass die Musik immer so natürlich wie die Melodien sind, ausgeschmückt werden mit unerwarteten Akkorden, mit unerwarteten Bewegungen in Nebenstimmen, mit einer Polyphonie, die wirklich kompliziert ist. Es ist keine einfache Musik, aber es ist eine Musik, die durch ihre Natürlichkeit einfach zu hören ist.

Gabriela Kaegi: Und dennoch spricht man vom deutschen Weill, vom Weill der Dreigroschenoper und vom amerikanischen, vom Broadway-Weill.

Thomas Wise: Man muss auch sagen, dass Dreigroschenoper und Mahagonny, das sind die Stücke, die am gradausten sind, wenn man so sagen kann auf Deutsch. Das hat auch was mit dem Zeitgeist zu tun und mit der populären Musik, die man in Berlin in den 20er Jahren hören konnte. Noch mal: Weill war ein Chamäleon und hat sich in seiner Art seiner Materie angenähert. Er ist nicht jemand, der von vornherein gesagt hat: «Ich werde jetzt alles sprengen.» Er wollte natürlich was ändern, aber auf langsame Art, und ja, man kann schon sagen, dass er durch diese Art Dinge anzugehen, erfolgreich war, denn er hat sich erst mal angenähert und dann durch seine musikalische Persönlichkeit verändert.

Gabriela Kaegi: Delia Mayer und Stefan Kurt haben beide viel deutschen Weill gespielt und gesungen und sie sagen nach den Unterschieden gefragt:

Delia Mayer: Ja, wobei ich sagen würde, dieser Weill, den wir hier behandeln, ist untypischer als den Weill, den man hier kennt, im deutschen Sprachraum. Also man kennt ja Weill vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Brecht. Und da, das ist anders, das ist kantiger. Das ist aber auch mit der deutschen Sprache, er hat ja deutsche Sprache komponiert, Brechts Sprache, und das ist ursprünglich Englisch gewesen, das und er ist in Amerika gewesen, es war nach seinem Emigrieren, also nachdem er ausgewandert ist, Europa verlassen musste als Jude. Und da hat er sich schon ein bisschen hat er diesen amerikanischen Stil angenommen. Das heisst, es ist eigentlich nicht so typisch Weill vom Gesang her, was man damit verbindet. Aber die Komplexität ist sehr Weill, das heisst, es wird viel getragener gesungen, als das zum Beispiel bei einer Dreigroschenoper wäre oder auch bei den Sieben Todsünden.
Stefan Kurt: Es ist eine tolle Mischung, finde ich, aus sogenannten europäischen Melodien und man merkt aber den amerikanischen Einfluss total. Und diese Mischung finde ich sehr reizvoll.

Gabriela Kaegi: Die gemeinsam mit Brecht in Deutschland geschaffenen Werke Mahagonny oder eben Die Dreigroschenoper zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie bitterbös, ironisch und sozialkritisch sind. Und was ist damit? Als in New York kein Brecht mehr an Weills Seite stand.

Thomas Wise: Er ist sehr klar, wie er jede Situation ziseliert, und er ist sehr klar in kleinsten Details, wie er eine ironische oder unmögliche Situation zeigt. Sarkasmus gehört zu den schwersten Sachen zu zeigen, auch als Schauspieler oder als Sänger. Deshalb ist das eine sehr schwierige Sache. Kurt Weill erreicht eine Art von Sarkasmus, in dem Dinge überhöht werden, in dem Träume, zum Beispiel der Zirkustraum, der dritte Traum, das klingt wie Zirkusmusik, aber alles ein bisschen zu schnell, alles ein bisschen zu grell, alles ein bisschen überhöht. Also das sind so Techniken, die er anwendet, um gewisse Stimmungen dann zu erzeugen. Also die Palette, über die er verfügt, war enorm.

Gabriela Kaegi: Grosses Thema unter Sängerinnen und Schauspielern. Wer soll Weill singen? In Basel hat man sich für singende Schauspieler:innen entschieden. Delia Mayer zum Beispiel, die Hauptdarstellerin, hat zudem eine ausgebildete Stimme. Bleibt die Frage Wie soll man Weill singen?

Thomas Wise: Das ist alles sehr genau notiert, wie ihr es haben möchte. Also bestimmte Dinge sind wirklich gesprochene Musik, bestimmte Dinge sind wirklich gesungen, stilistisch, wie wir das singen, wie das zu singen ist. Es gibt bestimmte Stile, die seit 1941 ein bisschen mehr entstanden sind in dem Jazz. Das ist eine Art von Belting, eine Art, diese Musik zu singen. Belting ist eine Art zu singen, in dem die Bruststimme ausschliesslich verwendet wird und wirklich auch hohe Töne mit der Brust Stimme gesungen werden. Um das zu machen, braucht man sehr, sehr viel Kraft. Und es hat eine Art von, ich könnte sagen fast Gewalt. Ja. Also das ist nicht eine Technik für weiche Momente oder für liebliche Momente. Es ist eher, wenn irgendetwas sexy sein muss, ja, oder so ein bisschen dahin gespuckt oder so, dann verwendet man eben dieses Belting.

Gabriela Kaegi: Frage an Delia Meyer: Beltest du hier?

Delia Mayer: Ja, viel und oft.

Gabriela Kaegi: Und was sie dabei macht, beim Belten, erklärt sie so:

Delia Mayer: Oh, das kann man nicht so kurz erklären, das ist eine längere Geschichte. Aber letztlich würde ich mal sagen, es ist so eine Art wie rufen. Gezogenes, langes Rufen: He, he! Ein und derselbe Ton klassisch gesungen wäre dann eben: He, he, he! Da kommt ein anderes Vibrato rein. Das klingt anders, das sind andere Obertöne. Ein Bell-Ton ist ein flacher Ton. Es ist auch mehr Druck drauf.

[Musik und Gesang aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Jeder der vier Traumwelten wird angetrieben von einer Tanzart oder sagen wir von einem Tanzrhythmus. Weill war ja unglaublich schnell im Aufnehmen und Integrieren von neuen Strömungen, neuartigen Musiken: Jazz, Foxtrott noch in Berliner Zeiten, das Chanson während seines Parisaufenthaltes. Und mit Sicherheit ist ihm auch in New York viel Neues um die Ohren geflogen, das er dann aufgenommen und in seine Musik hinein verarbeitet hat. Im «Glamour Dream» zum Beispiel fällt der Rumba Rhythmus auf.

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Und man ist versucht zu glauben, dass er mit dem typischen und vorherrschenden schnell, schnell, langsam, schnell, schnell, langsam die flinken Füsse der Liza Elliott karikiert. Im «Wedding Dream» ist es der Bolero Rhythmus, der heraussticht.

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Nun, der Bolero gilt gemeinhin als erotischer und leidenschaftlicher Tanz, auch wenn es bei Liza am Ende gerade anders ausgeht. Und im «Circus Dream» ist ein schneller Zirkusmarsch mit viel Blech unüberhörbar.

[Musik aus dem Stück]

Gabriela Kaegi: Und neben den charakterisierenden Rhythmen verwendet Weill aber auch musikalische Motive, wie Thomas Wise sagt:

Thomas Wise: Ja, und die kommen immer wieder. Also es gibt als erstes ein Luxus-Traum und es gibt ein Luxus-Thema und dieses Thema kommt immer wieder.

Gabriela Kaegi: Können Sie es singen?

Thomas Wise: Ja, natürlich.

[Thomas Wise singt das Thema]

Thomas Wise: Ganz opulent. Wunderschön. Ja, wie man sich Luxus vorstellt. 

[Musik aus dem Stück]

Thomas Wise: Es gibt dann einen Hochzeitstraum mit einem Hochzeitsthema.

Gabriela Kaegi: Wo Weill hat auch ein kleines Zitat von Mendelssohns Hochzeitsmarsch hineingeschmuggelt hat. 

[Musik aus dem Stück]

Thomas Wise: Aber das wird dann zu einem Albtraum. Dann gibt es einen Zirkustraum, wirklich mit einem Zirkusthema. Und das kommt dann auch immer wieder hinein.

[Musik aus dem Stück]

Thomas Wise: Aber nicht in der Art von Wagner, dass man sagt, es gibt Leitmotive, die ganz, fast unmerklich hineinkommen, wenn irgendwas erwähnt wird oder so, das ist es dann eben nicht. Denn es ist letztendlich ein Stück Musical-Theater mit anderen Rahmenbedingungen.

Gabriela Kaegi: Obschon es für die 40er Jahre schon ziemlich fortschrittlich war, ein Broadway-Stück für eine weibliche Hauptperson zu schreiben, die zudem nicht jung ist und berufstätig und erfolgreich, geht es im Original dann halt doch letztendlich darum, dass Liza am Ende heiratet. Den Schmäh kann man 2022 beim besten Willen nicht mehr bringen. Für welche Lösung also hat sich das Theater Basel entschieden?

Thomas Wise: Ja, es ist natürlich so: Dieses Stückes von 1941 und es gibt viele Aussagen in diesem Stück, die nicht mehr tragbar sind, die unserem Zeitgeist nicht mehr entsprechen. Und ich sage von der grossen, breiten Gesellschaft viele Ideen, die nicht mehr so getragen werden, auch in der Schweiz nicht. Und diese Dinge wurden alle sehr unter die Lupe genommen und ich darf schon sagen, auf einen jetzigen Stand gebracht.

Gabriela Kaegi: Und was sagt Delia Mayer zu diesem Basler Schluss? Konnte sie dabei mitreden?

Delia Mayer: Ja, ich habe sicher in den ersten Gesprächen mit Martin darüber gesprochen, wo Schwierigkeiten für mich liegen als moderne Frau und wo es schwierig ist, eben gewisse Rollenbilder zu vertreten. Da waren wir uns total einig. Da gab es überhaupt nichts zu streiten oder diskutieren. Aber was man bedenken muss, glaube ich, ist, dass der Stoff gerade mit dieser Psychoanalyse und der Krise und dem quasi Burnout und dieser Traumanalyse, das war natürlich sehr modern, das zu thematisieren in der Zeit und ich denke, die mussten das, also Moss Hart und auch Ira Gershwin, der die Liedertexte geschrieben hat, und Moss Hart, der die Sprechtexte geschrieben hat, die mussten einen relativ fortschrittlichen und auch provokativen Stoff in eine Verpackung stecken, dass die Leute, die da auch Unterhaltung wollen und Massentauglichkeit erwartet ist, dass sie diesen Stoff da rein verpacken können. Und da hat Weill natürlich auch sein Schmelz dazugegeben.

Gabriela Kaegi: Also so weit alles gut mit dem Abgang von Elliott?

Delia Mayer: Ach, ich finde die Skala nach extrem ist immer offen. Also man kann immer noch extremer. Ich könnte mir das auch ganz radikal noch vorstellen, aber man muss auch sagen, dass die Erben von Kurt Weill, sitzen da drauf. Aber ich könnte mir, ich finde, das… Mal warten, bis die Rechte ablaufen, was dann noch möglich ist [lacht].