Stückeinführung Der Freischütz

Stückeinführung

‹Der Freischütz› Info

Herzlich willkommen zu einer neuen Staffel Einführungs-Podcasts vom Theater Basel. In diesen 15 bis 20 Minuten möchten wir Ihnen einen Einblick bieten in unsere Stücke auf der Grossen Bühne und im Schauspielhaus. Wann, wo und wie lange Sie sich diese anhören, entscheiden Sie selber. Mein Name ist Nadja Camesi und in dieser Folge spreche ich mit dem leitenden Operndramaturgen Roman Reger über die Oper Der Freischütz, hier in Basel inszeniert von Christoph Marthaler. Es spielt das Kammerorchester Basel unter der musikalischen Leitung von Titus Engel. Hallo, Roman.

Roman Reeger: 
Hallo, Nadja. 

[Ausschnitt aus dem Stück]

Nadja Camesi:
Der Freischütz. Was ist denn das für ein Stück? Und was ist das Besondere daran?

Roman Reeger:
Ja, der Freischütz ist so ein richtiger Opernklassiker, kann man sagen. Also ein Werk, das nicht nur nach der Uraufführung unglaubliche Wirkung entfaltet hat, sondern auch bis heute, glaube ich, zu den einflussreichsten Werken in der Opernliteratur zählt. Es ist ein Stück, das eine neue Form gegründet hat, kann man sagen. Also das romantische deutsche Singspiel, das dann auch für Komponisten wie Richard Wagner und dann später natürlich auch Richard Strauss und andere sehr, sehr wichtig wurde. Und dieses Stück ist sehr häufig in sehr unterschiedlichen Formen auf die Bühne gekommen. Und wir haben gemerkt, es macht jedes Mal Spass, sich damit zu beschäftigen.

Nadja Camesi:
Geschrieben, komponiert hat das Stück der Komponist Carl Maria von Weber. Was kannst du uns über ihn erzählen?

Roman Reeger:
Ja, Carl Maria von Weber war Anfang des 19. Jahrhunderts ein Komponist, Dirigent und Theaterleiter, der sehr, sehr grossen Einfluss hatte. Er entstammt einer Theaterfamilie. Die Mutter war Opernsängerin, der Vater Schauspieler. Er hat sich sehr früh auch mit dem Musiktheater auseinandergesetzt, hat mit 14 Jahren schon zwei Opern komponiert und wurde später, eben 1817 war das, wurde er Kapellmeister und Direktor der Deutschen Oper am Dresdener Hoftheater. Er hat sich damals durchgesetzt gegen seinen auch damals sehr berühmten Konkurrenten Heinrich Marschner. Und hier, das Dresdener Hoftheater sehr geprägt.

Nadja Camesi:
Wie wird denn er rezipiert? Ich glaube jetzt nicht, dass er zu den allerberühmtesten Komponisten zählt. Kann man behaupten, dass er ein One Hit Wonder ist mit dem Freischütz?

Roman Reeger:
Ach ja… also natürlich, heute kennt man vor allem den Freischütz. Er hat eine ganze Reihe von Opern komponiert. Oberon zum Beispiel ist ein Stück, das auch ab und zu noch auf den Spielplänen zu sehen ist. Aber natürlich verbindet man ihn heute und auch seinerzeit war er vor allem mit dem Freischütz, weil das eine so grosse Wirkung hatte und so viele Generationen nach ihm sich immer wieder auf diesen Freischütz bezogen haben, bekannt. Deswegen ist er natürlich irgendwo der Komponist des Freischütz. Es ist ein Komponist, der sehr viel neu erfunden hat, also so eine Modernität, in der Klangsprache hatte. Also besonders im Freischütz hört man das immer wieder, wie er so eine, fast könnte man sagen, eine frühe Form von Leitmotivtechnik verwendet, sich sehr viel mit Instrumentalen und Klangfarben auseinandersetzt. Andererseits gibt es aber auch so eine… ein Zug oder ein… so etwas Einfaches in seiner Musik, etwas so Volkstümliches, was auch ganz bewusst so gewählt worden war, weil man auch ein Publikumsanschluss sich erhoffte. Und ja, diese Mischung hat ihm immer wieder dann den Ruf eingebracht, er sei so der Erfinder der deutschen Nationaloper. So hat Theodor W. Adorno es später noch bezeichnet. Das ist so ein bisschen zweifelhaft natürlich, wie weit natürlich Musik national sein kann. Aber es ist auf jeden Fall für die deutschsprachige Oper eine ganz entscheidende Entwicklung gewesen. Gerade der Freischütz.

Nadja Camesi:
Ja, dann lass uns mal auf die Handlung eingehen. Was wird uns da erzählt? Woher kommt es auch überhaupt, was der Hintergrund?

Roman Reeger:
Ja, also der Freischütz kommt ursprünglich aus einer damals sehr bekannten Sammlung von Gespenstergeschichten von Apel, und die Story ist im Wesentlichen, dass es um einen jungen Jägerburschen geht, Max, der heiraten möchte, Agathe, die Tochter des Fürsten Kuno. Und um dies tun zu dürfen, muss er einen sogenannten Probeschuss abgeben und Max ist sonst eigentlich sehr treffsicher. Allerdings versagt er dann beim sogenannten Sternschiessen und wird von der gesamten Dorfgemeinschaft verspottet. Und diese Verzweiflung und diese Angst vor dem Scheitern treibt ihn dann dazu, einen dunklen Pakt einzugehen. Sein Freund Kaspar vertraut ihm ein Geheimnis an und gemeinsam begeben sie sich nachts in die Wolfsschlucht, um sogenannte treffsichere Zauberkugeln zu giessen, womit das Verschiessen unmöglich wird. Und als dann dieses Ritual vollzogen wird, erscheint tatsächlich eine düstere, ich könnte sagen, diabolische Gestalt. Der schwarze Jäger Samiel, der ein Menschenleben fordert. Und was Max zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiss, ist, dass Kaspar ihn benutzen möchte, um seine eigene Frist bei Samiel zu verlängern. Und es kommt dann dazu, dass er beim Schiessen mit diesen Freiekugeln tatsächlich die eigene Braut vermeintlich trifft. Im Original ist es so, dass sie stirbt und Max wahnsinnig wird. In der Oper ist dieser Schluss etwas abgemildert. Man wollte damals nicht so etwas Drastisches zeigen. Und hier ist es so, dass Agathe nur vor Schreck niedergesunken ist, wieder aufsteht und ein grosser, also eine geheimnisvolle Figur, in ihrem Lied auftritt und davon singt, dass dieser Freischuss, dieser Probeschuss nicht mehr stattfinden soll. Und es gibt ein berühmtes Happy End, wie es in dieser Zeit immer wieder üblich war, das etwas gekünstelt wirkt. Das wurde auch bemerkt, aber auch das gehört, glaube ich, zur zu dieser Zeit und zur Oper in dieser Zeit dazu.

Nadja Camesi: Jetzt inszeniert das Stück bei uns hier in Basel Christoph Marthaler. Wie hat er denn diese Geschichte mit seiner eigenen Handschrift versehen?

Roman Reeger:
Ja, also wenn man die Opernarbeiten auch von Christoph Marthaler kennt, dann weiss man, dass er natürlich sehr gerne mit dem Material, mit Motiven der Geschichte spielt und auch mit der Musik durchaus sehr frei umgeht. Und hier war es auch so, dass allein die Struktur des Stückes so ein wenig vorbestimmt hat, wie auch Christoph Marthaler mit dem Stück arbeiten wird. Weil es ist im Original so es gibt sehr lange Sprechdialoge und dazwischen immer wieder musikalische Einlagen. Die sind sehr unterschiedlich lang, manchmal nur wenige Minuten, manchmal gibt es grosse Terzette oder grosse Arien. Und diese Struktur haben sich auch Christoph Marthaler und das Team zu eigen gemacht. Sie haben also eine Szenerie geschaffen, in der eine Jägergemeinschaft so ein bisschen wie in einer Endlosschleife vor sich hin hockt und beginnt, sich über vermeintlich wichtige und auch unwichtige Dinge zu unterhalten. Und aus dieser Situation des Wartenden, Sitzenden, das sich auch selbst Verwaltenden dieser Gemeinschaft entsteht dann diese Oper, der Freischütz, also dieses Drama um Max und Agathe und Samiel. Und Kaspar kommt eigentlich aus so einer, man könnte sagen, Stammtisch-Jägeratmosphäre. Es gibt immer wieder auch kleine Fremdtexte oder Couplets zum Thema der Jagdgesellschaft. So kleine Exkurse. Also es ist ein Abend, der sich sehr auseinandersetzt mit Gesellschaften, die sich permanent selbst bestätigen, so eine Art geschlossenes System aufzeigen und aber auch natürlich, mit der eine Auseinandersetzung, sehr humorvoll an vielen Stellen, mit dem Thema des Jägers und des Jagens, also der Jäger, könnte man sagen, so als Metapher auch für den Menschen oder für einen Menschen, der so etwas auch durchaus Rezessives und Konservatives in sich hat.

Nadja Camesi:
Du hast es schon angedeutet, dass Marthaler relativ frei auch umgeht, manchmal mit Musik. Entsprechend wurde auch hier die Musik ein bisschen anders interpretiert als sonst. Kann es uns dazu noch etwas sagen?

Roman Reeger:
Ja, also das musikalische Material ist erst mal, wie wir alle fanden, sehr, sehr spannend und sehr gut, weil es eben diese besagte Mischung gibt aus diesen so volkstümlichen Gesängen, zum Teil auch, die bei Marthalers Inszenierung ja immer wieder vorkommen, aber auch andererseits diese sehr kraftvollen Wirkungen, die erzeugt werden, auch durch die Instrumentation. Und das wird an vielen Stellen, würde ich sagen, aufgenommen. Da werden die Fäden aufgenommen, etwas auch hier etwas zu ergänzen, bestimmte Musiken auch mal zu unterbrechen mit einem Text. Dann gibt es eine Bühnenmusik auf der Bühne, die neu arrangiert wurde und sich sehr stark eben mit dem mit der Partitur verbindet. Also einen weiteren Klangraum, könnte man sagen, auf der Bühne eröffnen. Und es gibt eben auch sehr viel gesungenes Material, was für eine Oper ja klar ist, aber in diesem Fall immer wieder Chöre wie den berühmten Jägerchor aus dem Stück, der in verschiedenen Varianten hier vorkommt, oder auch das Lied der Brautjungfern, das hier gesungen wird von Ännchen, die ja eine sehr… von einer sehr erfahrenen Bühnendarstellerin gespielt wird, Rosemary Hardy, auch eine alte Marthaler-Vertraute. All diese besonderen musikalischen Momente werden, wie ich finde, in der Inszenierung so vergrössert, indem sie szenisch neu kontextualisiert werden, manchmal neu arrangiert werden und auch manchmal verschnitten werden mit anderen Textmaterialien oder auch anderen Musiken. Also es ist so, dass die Oper in ihren Grundzügen natürlich der Freischütz bleibt, aber glaube ich an vielen Stellen bestimmte Momente noch mal deutlicher herausgehoben sind, die sonst vielleicht gar nicht so auffallen bei normalen Freischütz-Inszenierungen.

Nadja Camesi:
Du hast vorhin bereits das Stichwort der Marthaler-Vertrauten reingebracht. Also der Cast ist ja zusammengestellt aus solchen Leuten und aber auch Sänger:innen. Wer wartete auf uns?

Roman Reeger:
Ja, es ist tatsächlich eine Mischung, die, wie ich finde, für das Stück sehr gut passt, weil es ist ein Stück, das ja uraufgeführt wurde in einem Schauspielhaus. Und man merkt so dieses Direkte, auch die vielen Sprechtexte, die dort vorkommen. Das Ganze hat so einen schauspielhaften Zug und da ist es naheliegend, dass eben neben ganz tollen Sängerinnen und Sängern, die jetzt auch schon bei uns häufiger zu Gast waren, jetzt Nicole Chevalier als Agathe einerseits, die La Traviata ja schon bei uns war oder auch Jochen Schmeckenbecher, der Kasper singen wird und dass da auch Schauspieler auftauchen, die zur sogenannten Marthaler-Familie gehören. Ueli Jäggi ist da zu erwähnen oder auch Raphael Clamer, die mit dabei sind. Also es ist eine sehr, sehr interessante… oder ein sehr interessantes Ensemble, das hier zusammenkommt, das sich auch stimmlich und klanglich sehr toll ergänzt und das so eine Bandbreite bieten kann von einerseits schauspielerischer Qualität, aber auch an vielen Stellen, ist auch für musikalische Kulinarik, wie man so schön sagt, gesorgt. Also es ist eine sehr bunte, eine sehr farbenreiche Interpretation, musikalisch. Eben auch unterstützt durch das Kammerorchester Basel unter der Leitung von Titus Engel. Die haben sich auch eine eigene Version gemacht, die man auch nicht so häufig hört. Es gibt ja die Tendenz, den Freischütz sehr breit und sehr spätromantisch zu musizieren, obwohl es ja eben 1821 geschrieben wurde, also eher zur Frühromantik gehört. Und das Kammerorchester nutzt so ein bisschen eine kleinere Streicherbesetzung Natur-Blechbläser, die Streicher spielen auch auf Darmsaiten. Also es gibt einen sehr direkten, einen sehr rauen, ein sehr agilen Orchesterklang, der glaube ich auch ein besonderes Erlebnis ist, wenn man das Stück vielleicht vorher von der CD kennt, dann ist man häufig mit diesen breiten Interpretationen konfrontiert. Und hier wird das auf jeden Fall noch mal eine ganz eigene, auch Orchester-Klangqualität bekommen.

Nadja Camesi:
Und diesen Klang wollen wir uns noch mal anhören in der Ouvertüre zum Schluss. 

[Ausschnitt aus dem Stück]

Nadja Camesi:
Vielen Dank für diese Einführung, Roman.

Roman Reeger: 
Vielen Dank.

Nadja Camesi: 
Der Freischütz hat am 15. September 2022 Premiere. Sie können das Stück bis zum 2. Dezember auf der Grossen Bühne sehen. Dauern wird es ungefähr 2 Stunden 45 Minuten. Mehr Infos gibt es auf www.Theater-Basel.ch