Stückeinführung Die Perser

Stückeinführung

‹Die Perser› Info


Hallo, wir begrüssen sie herzlich zum Einführungspodcast vom Theater Basel. In dieser Folge besprechen der Schauspieldramaturg Kris Merken und ich, Nadja Camesi, das Stück ‹Die Perser›, inszeniert von Sahar Rahimi. Es handelt sich um einen antiken Text von Aischylos, in einer Übersetzung von Kurt Steinmann.

Hi Kris.

Kris: Hallo, Nadja!

Nadja: Lass uns gleich auf diesen Text eingehen. Was sind so die wichtigsten Punkte, die man dazu sagen kann? Was müsste man wissen?

Kris: Du hast es ja schon erwähnt, Aischylos ist der Autor. Das Stück heisst die Perser. Es ist die älteste erhaltene Tragödie und damit auch das älteste erhaltene Theaterstück der europäischen Theaterliteratur. Und um gleich den nächsten Superlativ hinterherzuschieben: Es ist auch die einzige Tragödie, die sich nicht auf die Mythologie der Griechen bezieht, sondern auf ein reales historisches Geschehen zurückgreift. Es geht dabei um die Schlacht bei Salamis, bei der die zahlen- und kräftemässig unterlegen den Griechen das übermächtige, von Darius beziehungsweise seinem Sohn Xerxes angeführte Heer der Perser vernichtend geschlagen hat. Es ist also ein Stück über den Krieg.

Nadja: Und was haben wir hier in Basel aus dieser ältesten Tragödie gemacht?

Kris: Na ja, diese Tragödie ist relativ handlungsarm. Das Ganze ist ein einziger langer Klagegesang, und im Zentrum dieses Stückes steht eigentlich der Chor, die Vielstimmigkeit dieses Chors, und der bringt die Sorge, die Angst und die Trauer über den Verlust der in den Krieg gezogenen Männer zum Ausdruck. Und am Anfang dieses Stückes warten die Perser:innen auf eine Nachricht, und die Spannung wird durch den Botenbericht relativ schnell aufgelöst. Und dann ist eigentlich nur noch die Frage, warum ist das passiert? Wie konnte das geschehen, und wie geht es nun weiter? Und der Höhepunkt dieses Stück ist die Rückkunft des Königs. Der hat überlebt, Xerxes, er kommt zurück an den Hof, und im Originalstück zerreisst er sich das Gewand, er klagt zusammen mit dem Chor über den Verlust der Männer und wird dann aber wieder in seine Position eingesetzt als König. Das hat also keinerlei Konsequenz für ihn. Und das war eine Stelle, wo wir uns gefragt haben, wollen wir das erzählen? Und da habe wir uns entschieden, wenn wir mal eine Abweichung zu machen, das ein bisschen anders zu erzählen.

Nadja: Ihr habt ja beispielsweise diesen sehr wichtigen Chor anders besetzt, als es im Text vorgesehen ist. Was habt ihr gemacht?

Kris: Genau. Im Text vorgesehen… der Chor besteht dort aus alten Männern, die alten, nicht mehr kriegsfähigen Männer, die zurückgeblieben sind und die die Regierungsgeschäfte übertragen bekommen haben. Und die stehen wie im Widerstreit mit der Königin Atossa. Also, die hat repräsentative Funktion. Aber es gibt wie so Machtgefälle zwischen denen, was sich ganz früh andeutet. Und wir haben diesen ersetzt durch junge Frauen, und dadurch verschiebt sich so diese, dieser Konflikt oder diese Frage der Macht, die entsteht jetzt zwischen zwei Generationen von Frauen, und für uns verkörpern diese jungen Frauen, dieser Chor der jungen Frauen, die verkörpern für uns, anders als die alten Männer, eben die Zukunft. Das ist die zukünftige Generation. Die transportieren eine gewisse Hoffnung, aber auch das Irrationale, das Gewaltsame, und was häufig an den Rand gedrängt wird, das Verdrängte.

Nadja: Wir hören gleich ein erstes Mal in das Stück rein, und zwar hören wir das Einzugslied des Chors. 

[Ausschnitt aus dem Stück]

Wofür steht denn dieses Stück, und was hat das für eine Rezeptionsgeschichte?

Kris: Ja, die Rezeptionsgeschichte ist wirklich spannend. Es ist, weil in der Rezeptionsgeschichte sich die ganze Ambivalenz dieses Stückes eigentlich sozusagen zeigen lässt. Das Stück stellt das Leid der anderen dar, also des Feindes. Aischylos der hat in diesem Krieg, den ich erwähnt habe, gekämpft, auch einen Bruder verloren. Aber er stellt nicht das eigene Leid dar, er stellt nicht den Verlust der Griechen dar oder das Leid der Griechen, sondern er stellt das Leid aus der Perspektive der Perser dar, und das hat man in der Rezeptionsgeschichte so bis ins frühe 20. Jahrhundert meistens als Schadenfreude-Stück gelesen. Also, man hat sich vorgestellt, dass die griechischen Männer dort sitzen. Es waren ja alles Männer, die sich dieses Theaterstück angeguckt haben, dass sie dort sitzen und sich dadurch, dass sie sich das Leid der anderen noch mal vor Augen führen, so in ihrer eigenen Grösse nochmal spiegeln.

Nadja: Sich daran ergötzen.

Kris: Genau. Einfach so Schadenfreude empfinden und so. Und dann aber so in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, wahrscheinlich auch durch die Kriegserfahrung im zwanzigsten Jahrhundert, der zweite Weltkrieg, hat man das dann humanistisch gewendet und das… in dem Stück eigentlich mehr so die Empathiefähigkeit der Griechen entdeckt. Also dass man in der Lage war, sich in das Leid des anderen hineinzuversetzen und das ganz ernsthaft mitzuempfinden. Und wir haben aber, und das kann man sozusagen unter einer postkolonialen Perspektive auch nochmal in Frage stellen, ob da diese Empathie wirklich mit dem anderen stattfindet oder ob man sich, wenn man sich mit dem Leid des anderen identifiziert, vielmehr doch vielleicht auch nur mit den eigenen Projektionen identifiziert. Also die Frage, die für uns ganz wichtig war, identifiziert man sich wirklich mit dem anderen, oder identifiziert man sich doch nur mit sich selbst? Und ist das Leid des anderen nicht immer sozusagen in gewisser Hinsicht unerreichbar?

Nadja: Also quasi aus echtem Mitgefühl würde dann eher Mitleid für sich selber, weil es einem vor Augen geführt wird, was man auch selber teilweise empfindet?

Kris: Ja, für uns steckt dann drin natürlich auch eine ganze Hinterfragung der Art und Weise, wie wir auf das Leid von anderen gucken, nämlich medial vermittelt, und da steckt ja auch eine gehörige Portion Zynismus drin.

Nadja: Was ist denn das Besondere an der Inszenierung, die wir hier in Basel zu sehen kriegen?

Kris: Also zum einen die Perspektivverschiebung, die ich angedeutet habe. Dass wir das Ende so ein bisschen anders erzählen und das irgendwie feministisch wenden. Und das andere ist, glaube ich, dass wir hier mit ja mit dem Stilmittel des Hyperrealismus arbeiten. Es wird besonders deutlich an der Bühne. Wir befinden uns auf dieser Bühne nämlich nicht am persischen Hof, sondern im Grunde genommen auf dem Schlachtfeld, oder man kann das auch als das Grab des Dareios lesen. Das ist so ein bisschen offen. Aber letztendlich ist da ein sehr naturalistisch gestaltete Geröllfeld zu sehen. Und was wir damit machen, ist die Funktion des Botenberichts, die heben wir in gewisser Hinsicht auf. Der Botenbericht hat ja die Funktion, immer die Szene, die nicht auf der Bühne dargestellt werden kann, auf die Bühne zu holen, durch den Bericht, und wir machen genau das. Das, was der berichtet, bringen wir auf die Bühne und machen damit eigentlich das, was für griechisches Theater eher untypisch ist und eher für das römische Theater oder das englische Theater des elisabethanischen Zeitalters, also Shakespeare, macht, nämlich ganz explizite Szenen auf die Bühne zu holen, und in unserem Fall sind es explizite Gewaltdarstellungen. Also wir sehen zwei Soldaten beim Leiden zu, die eigentlich im Todeskampf sich befinden.

Nadja: Diesen Botenbericht, den du erwähnt hast, den hören wir uns an. Wir hören Julian Anatol Schneider. 

[Ausschnitt aus dem Stück]

Wir haben ja gerade gehört, dass wir hier eben eine sehr realistische Szene zu sehen bekommen. Aber diese Bühne, die bezieht sich auch noch auf ein ganz bestimmtes Kunstwerk. Welches ist das?

Kris: Ja, in der Vorbereitung für Evi Bauer, die Bühnenbildnerin, und für Sahar Rahimi, die Regisseurin war ganz wichtig das Werk von Jeff Wall, das heisst ‹Dead Troops Talk›, das kann man nachgooglen, das zeigt eben auch ja ein Trümmerfeld, in dem verwundete Soldaten sich befinden. Das ist auch ein also wirklich sehr ambivalentes Bild, weil es stellt eben eine Kriegsszene nach. Verwundete Soldaten sitzen gesellig beieinander und plaudern miteinander. Das ist wirklich… die Stimmung auf dem Bild, entspricht nicht sozusagen der Szene. Und Susan Sontag hat einen Text geschrieben, der heisst eben ‹Das Leiden anderer betrachten›, und die nimmt genau dieses Bild als Beispiel für ihre Frage, was das eben bedeutet, das Leid anderer zu betrachten, und genau diese Frage hat uns interessiert.

Nadja: Habt ihr bei eurer Arbeit auch besondere Herausforderungen angetroffen?

Kris: Ja, die Herausforderung war von Anfang an, war das klar, und das war auch so ein bisschen die Frage oder das Problem, mit dem wir uns beschäftigen wollten, war die Frage, wie kriegen wir hier Bild und Text zusammen? Sahars Ästhetik arbeitet wirklich ganz stark, so mit einer ganz bildgewaltigen Ästhetik mit Sound, mit Video, mit dieser hypernaturalistischen Darstellung werden wirklich so… sehr starke, emotional aufgeladene Bilder gebaut. Und die Frage ist, wie kommt man als, also wie kommt man mit dem Text, diesem sehr alten, sehr schwierigen Text… Wie kommt man da eigentlich gegen an? Das ist für Spieler nicht einfach, sich gegen so einen technischen Apparat zu behaupten, und der Text bietet auch wenig Spielmöglichkeiten, der bietet wenig Möglichkeiten zum Dialog. Der ist vor allem erst mal nur Stimme.

[Ausschnitt aus dem Stück]

Kris: Das war Katja Gaudard in der Rolle der Atossa.

Nadja: Mich würde es auch interessieren, ein bisschen was zum Team und Ensemble dieses Stück zu hören. Stell uns die Leute gerne mal vor.

Kris: Ja, also, da ist in der Regieposition Sahar Rahimi. Sie hat letztes Jahr auch schon eine Produktion hier am Theater Basel gemacht. Sie ist Gründungsmitglied der Gruppe Monster Truck, die haben sich in den letzten 15, 20 Jahren schon Namen gemacht mit sehr bildstarken Inszenierungen und Sahar versucht hier, diese bildstarke Ästhetik zusammenzubringen mit der Arbeit am Text. Mit im Team ist Evi Bauer, Bühnenbildnerin, das ist jetzt, glaube ich, ihre zweite oder dritte Arbeit zusammen. Schliesslich Joscha Eckert, der macht Licht und Videodesign, und Niklas Kraft ist Musiker und Sounddesigner. Das ist so das feste Team um Sahar Rahimi. Mit ebenfalls im Regieteam, ganz unverzichtbar für unsere Arbeit am Chor war Julia Kiesler, sie ist Professorin an der Hochschule der Künste in Bern, und sie hat mit uns am Chor gearbeitet. Der Chor besteht aus fünf Studierenden der Hochschule der Künste in Bern. Und auf der Bühne sehen sie Katja Gaudard in der Rolle der Atossa, Edgar Eckert in der Rolle des Dareios und des Soldaten, und schliesslich Julian Anatol Schneider, der den Soldaten, den Boten und aber auch Xerxes spielt.

Nadja: Und vielleicht nochmal auf den Punkt gebracht, warum muss denn Basel diese Inszenierung kennenlernen?

Kris: Also, das Stück wurde vor 2500 Jahren geschrieben, und es scheint sich seitdem die Situation nicht wirklich verändert zu haben. Wir befinden uns nach wie vor in Kriegen und über die ganze Welt verteilt, und diese Kriege rücken jetzt auch immer näher. Und wir, die wir in Frieden und Wohlstand leben, müssen uns die Frage stellen, wie wir uns dazu verhalten. Wir sehen das Leid immer medial vermittelt als Bild, und die Frage ist aber, wann müssen wir eingreifen, und was passiert dann, wenn wir eingreifen? Verschlimmern wir die Situation oder verbessern wir die Situation?

Nadja: Inwiefern nimmt denn diese Inszenierung von Sahar Rahimi, die ja selber auch iranische Wurzeln hat, denn die aktuelle Weltsituation auf, also im Iran oder auch vielleicht in Afghanistan oder in Europa, in der Ukraine?

Kris: Also sah sich dazu entschieden hat, dieses Stück zu machen, gab es den Ukrainerieg noch gar nicht, und auch die Frauenbewegung im Iran war noch gar nicht geboren. Und natürlich sind diese Ereignisse, die legen sich wie über dieses Stück drüber, und es lässt sich wie fast gar nicht vermeiden, dass das etwas mit diesem Stück auch macht. Und jetzt zum Beispiel, wenn man auf die Ereignisse im Iran irgendwie schaut, dann lässt sich das Stück natürlich so lesen. Es geht um ein autokratisches Regime, das mit allen Mitteln versucht, an der Macht zu bleiben, und selbst wenn es da für Menschen, vor allem auch Kinder opfern muss. Und für uns also ganz konkret glaube ich, dass das auch die Setzung des Chors, die vorher schon klar war, dass das mit jungen Frauen ist... Wir haben den so ein Bisschen angelegt, also der hat so ein revolutionäres Potenzial in dem Stück eingeschrieben, und ich würde sagen, das haben wir wie so ein Bisschen verstärkt, auch unter dem Eindruck der Ereignisse im Iran.

Nadja: Gibt es Aspekte an diesem Stück, die das Publikum auch besonders herausfordern?

Kris: Ja, ich glaube, dass die beschriebene Szene, in der die Soldaten in Agonie liegen, dass das eine herausfordernde Szene ist, dass die auch wirklich verstörend sein kann.

Nadja: Ja, daran anknüpfend, vielleicht mit welchem Gefühl geht man denn aus diesem Stück raus?

Kris: Das ist ja eine Tragödie, und wir haben schon versucht, uns mit den entsprechenden Emotionen zu beschäftigen, also Furcht und Schrecken, Mitleid und Trauer. Das sind ja immer so die Motive, die man in Verbindung mit der Tragödie hört, und damit habe wir uns beschäftigt. Da haben wir auch versucht, entsprechende Szenen zu finden, dieses Pathos zum Ausdruck zu bringen. Aber letzten Endes wollen wir das ja nicht machen, um der Sensation sozusagen zu dienen, sondern wir wollen zum Nachdenken bewegen.

Nadja: Dankeschön für diese Einführung, Kris.

Kris: Danke Nadja.

Nadja: Das Stück Die Perser ist bis zum 30. Mai im Schauspielhaus zu sehen. Es dauert 1 Stunde, 45 Minuten ohne Pause. Alle weiteren Infos finden sie im Web auf Www.theater-basel.ch