Stückeinführung Don Carlos

Stückeinführung

‹Don Carlos› Info

Hallo, willkommen zum Einführungspodcast vom Theater Basel. Mit diesem Podcast können Sie sich informieren über unsere Stücke auf der Grossen Bühne und im Schauspielhaus. In dieser Folge sprechen wir über die grosse Oper ‹Don Carlos› von Giuseppe Verdi. Inszeniert hat sie in Basel der Regisseur Vincent Huguet. Es spielt das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung des Mailänder Dirigenten Michele Spotti. Mein Name ist Nadja Camesi und mit mir hier ist heute Roman Reeger, leitender Dramaturg am Theater Basel. Hi, Roman.

Roman:
Hallo, Nadja.

Nadja:
Roman. Lass uns doch gleich mal mit der Handlung anfangen. Was wird uns hier für eine Geschichte erzählt?

Roman:
Ja, Don Carlos ist eigentlich ein Drama, das auf verschiedenen Ebenen stattfindet. Einerseits ist es ein Familienporträt einer Herrscherfamilie. Es gibt den König Philipp II, es gibt seinen Sohn Don Carlos, es gibt Elisabeth, Don Carlos’ Stiefmutter, und ein grosses Problem in dieser Familie, denn Elisabeth war ehemals Don Carlos versprochen. Die Heirat zwischen Philipp und Elisabeth ist allerdings aus einer politischen Notwendigkeit entstanden, nämlich der Herstellung des Friedens zwischen Frankreich und Spanien. Don Carlos hat sich nicht abfinden können mit dieser Situation. Er ist nach wie vor entbrannt vor Liebe zu Elisabeth, versucht sie zu überzeugen, ihn zu lieben. Elisabeth weist ihn immer wieder zurück, verweist auf ihre Pflicht und der ganze Konflikt zwischen dem Vater, Philipp II, und Don Carlos hat hier so seinen Ursprung. Es gibt da noch eine andere Figur, die wichtig ist: Rodrigue, Carlos Freund, der sich versucht einzusetzen für die Unterdrückten, für die unterdrückte Bevölkerung in Flandern, das unter spanischer Herrschaft steht. Philipp ist da so ein wenig abgeneigt, ist allerdings auf der anderen Seite auch sehr beeindruckt von diesem mutigen Rodrigue und macht ihn zu seinem Vertrauten. Und es gibt die Figur der Eboli, der Prinzessin Eboli, die eine grosse Rolle spielt. Sie ist in Carlos verliebt und sorgt im Endeffekt aus dieser Liebe dafür, dass diese Liebe, dieses Begehren zwischen Carlos und Elisabeth öffentlich wird, was zum grossen dramatischen Wendepunkt der Oper führt.

Nadja:
Und in was für einem historischen Umfeld ist denn diese Oper entstanden? Weil das ist ja jetzt – du hast ja erzählt, die Handlung, die bezieht sich auf ein Drama, das Mitte des 16. Jahrhunderts ein Vorbild hat. 

Roman:
Ja.

Nadja: 
Und aber die Uraufführung war erst 300 Jahre später.

Roman:
Genau. Ja, man muss mit dieser historischen Realität etwas vorsichtig sein. In Filmen heisst es ja immer: Diese Handlung basiert auf wahren Ereignissen. Das ist bei Don Carlos nur sehr eingeschränkt der Fall. Friedrich Schiller, der die Dramenvorlage geschrieben hat, an die sich Giuseppe Verdi auch sehr eng gehalten hat, hat sich sehr frei… oder ist sehr frei umgegangen mit den historischen Vorbildern. Don Carlos, zum Beispiel, war eigentlich eine etwas düstere Figur. Ein launischer, man sagt auch vielleicht etwas geistig zurückgebliebener Prinz, der immer mehr versucht hat, auch Mordanschläge gegen seinen Vater oder auf seinen Vater zu verüben. Aber die Idee, die dahintersteht, ist der Kampf der Generationen, der auch vom Idealismus beeinflusste Freiheitsgedanke, diesen hat Schiller versucht, in dieser Figur des Don Carlos zu einer konkreten oder konkret Gestalt werden zu lassen. Und Giuseppe Verdi ist ihm hierin sehr stark gefolgt. Das private Familiendrama hat ihn sehr interessiert, aber eben auch das Problem von, ja, von Hierarchien. Das Problem von einer Gesellschaft, die sich neu arrangieren muss, auch einer sehr problematischen Kirchenhierarchie. All das sind so Themen, die Verdi aufgenommen hat in seiner Oper Don Carlos und die auch in der Mitte oder im späten, Mitte spätes 19. Jahrhundert sehr wichtig waren in der Gesellschaft.

Nadja:
Das ist ja nicht Giuseppe Verdis erstes Werk, wo er auch politisch oder eben religionskritisch wird. Trotzdem oder vielleicht auch deswegen hatte es das Stück am Anfang aber eher schwer.

Roman:
Ja, tatsächlich. In Paris war es so, dass es eine sehr klare hierarchische Ordnung gab, auch einen grossen Konservatismus, vor allem in der Oper. Es gab auch eine Zeit also, wo man sagte, man geht in die Oper und man geht eigentlich davon aus, dass es blöd wird. Einfach gesagt ja. Das war so eine Haltung auch einer Oberschicht, die… man ging hin und und hat sich eigentlich nicht sonderlich interessiert für die Veranstaltungen. Giuseppe Verdi hat eben auch ein sehr klares Bild der katholischen Kirche gezeichnet, also durchaus einen religionskritischen Ansatz präsentiert. Und die damalige Kaiserin Eugenie, die Spanierin ist gebürtig, hat sich demonstrativ abgewandt, wenn diese Momente auf der Bühne zu sehen waren.

Nadja:
Darf ich trotzdem noch mal kurz darauf zurückkommen, dass die Leute erwartet haben, dass es jetzt blöd wird? Also muss man das so verstehen, dass die Oper so was wie flache Unterhaltung war? Oder war es ein Dünkel gegenüber der Kunst und trotzdem ist man hin?

Roman:
Ja, es ist eine Mischung aus: Es war so ein repräsentatives Medium, könnte man sagen. Man ging hin und war gerade in so einer gewissen mit einer gewissen Arroganz im Publikum, also gar nicht so sehr, sage ich mal das normale Publikum, sondern eher eine gewisse Oberschicht, die auch manchmal dann erst später zu bestimmten Akten aufgetaucht ist. Also es gab so ein erstarrtes System, auch, wie man sich in der Oper so zu verhalten hatte und…

Nadja:
Also auch sehen und gesehen werden?

Roman:
Natürlich, klar. Und man äusserte sich durchaus verächtlich, wenn bestimmte Erwartungen nicht erfüllt wurden. Und da gab es einige Komponisten, die Probleme damit hatten. Giuseppe Verdi hat auch nach diesem nicht grossen Erfolg von Don Carlos sehr über diese Bruchbude der Pariser Oper geschimpft. Auch andere Komponisten, Richard Wagner hatte grosse Schwierigkeiten in Paris, wie man weiss. Und es war ein Pflaster, das für Komponisten, glaube ich, in der Zeit nicht so ganz einfach war.

Nadja:
Das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit, die Verdi gewissermassen mit seinem sonstigen Kontrahenten Wagner verbindet. Da gibt es auch in musikalischer Hinsicht ein paar Aspekte, die bei Don Carlos speziell sind und die ihn an Wagner heranrücken lassen. Was ist das genau?

Roman:
Das stimmt. Man hat Verdi auch vorgeworfen, dass er in Don Carlos sich zu sehr dem Stil Richard Wagners angenähert hat. Ganz konkret handelt es sich so um so musikdramatische Elemente, die Verdi für sich neu entdeckt hat und neu eingeführt hat. Konkret zum Beispiel eine Form von Leitmotivtechnik, die wir im Don Carlos hören, also gleich am Anfang der Oper. In den ersten beiden Akten werden sehr viele Motive, Themen vorgestellt, die immer wieder in der Oper vorkommen. Das ist also sehr besonders für Giuseppe Verdi. Aber auch die Art und Weise, wie er in Übergängen komponiert, wie er das Orchester zum Teil auch einsetzt. Das ist, da gibt es unglaubliche Nähen zwischen diesen beiden doch so unterschiedlichen Komponisten. Also dass Verdi auch in dieser Musiksprache kompositorisch eine neue Komplexität gefunden hat. Die man vorher bei ihm weniger so vermutet hat. Und darum war das ein ja, glaube ich, schon ein Schlüsselwerk für Giuseppe Verdi, für diesen späteren Stil, der deutlich mehr Komplexität und deutlich mehr musikdramatische Eigenheiten birgt.

Nadja:
Und in dieser Zeit hat Verdi auch mehr düstere Klänge komponiert…

Roman:
Ja, das war vor allem für Don Carlos sehr wichtig, weil gerade dieses – wir hatten das angesprochen, dieses religionskritische Moment in der Oper, das ist bei Verdi verbunden mit sehr düsteren Klangfarben. Also man hört zum Beispiel eine Mönchsmusik gleich zu Beginn des Stückes, ein so ein schwebender Klang zwischen Dur und Moll. Es gibt sehr dunkle Instrumentalfarben, das Kontrafagott, das eingesetzt wird und verbunden ist mit der Figur des Grossinquisitors. Und auch überhaupt tiefe Bläser, tiefes Holz, das so hindurchscheint. Auch tiefe Stimmen. Es gibt zwei Bässe, die ein Duett singen. Das ist dann sehr, sehr selten in der Operngeschichte. Und dieses, dieses dunklere Timbre, das war, glaube ich, etwas, was sehr eng verbunden ist mit der Geschichte und dem Stoff Don Carlos.

Nadja:
Und diese Mönchsmusik, die du vorhin erwähnt hast, das möchten wir uns gleich mal anhören…

[Einspieler aus dem Stück]

Nadja:
Lass uns auf unsere Basler Inszenierung eingehen. Der Regisseur ist Vincent Huguet, ein französischer Regisseur, der erst etwas später als andere vielleicht zur Regie gekommen ist, aber wiederum schon mehrmals mit dem Bühnenbildner Richard Peduzzi zusammengearbeitet hat. Was ist das für eine Zusammenarbeit zwischen den beiden?

Roman:
Ja, die beiden kennen sich schon sehr lange. Sie haben beide zusammengearbeitet mit dem legendären Regisseur Patrice Chéreau. Richard war der prägende Bühnenbildner von Chéreau und später auch für Luc Bondy. Und Vincent Huguet hat die letzten Arbeiten von Patrice Chéreau begleitet. Aus dieser Zeit kennen sie sich. Und als dann Vincent so seine ersten Regiearbeiten selbst verantwortet hat, war auch Richard Peduzzi der Bühnenbildner. Sie haben sich dann ein paar Jahre nicht für gemeinsame Arbeiten verabredet, und das ist aber sehr schön für diese Oper, dass diese beiden jetzt wieder zusammenkommen, die sich schon so lange kennen und einen, finde ich, sehr interessanten Zugang zu Don Carlos gefunden haben. Also zwischen Architektur und seinem spanischen Stil, der in den Bühnenräumen mitschwingt. Und es ist sehr, sehr eindrucksvoll, wie sie da zusammenarbeiten.

Nadja:
Ja, was erwartet uns denn? Wie fühlt sich diese Inszenierung an und wie sieht sie aus?

Roman:
Ja, also Vincent Huguet ist ein Regisseur, der sehr konzentriert, sehr fokussiert arbeitet auf die Figuren und ihre Entwicklungen und was er, finde ich, sehr gut beherrscht ist die Verbindung auch von grossen Chor-Tableaus, die es ja einerseits gibt in dieser Oper, und sehr intimen Kammerszenen, die so das Gegenstück dazu sind und da die richtige Mischung zu finden im inszenatorischen Stil und auch in der Entwicklung und in der Erzählung von Charakteren, das ist so die Qualität von Vincent Huguet. Richard Petrucci hat eben einen Raum geschaffen, der sehr einerseits dieses Monumentale, das Totalitäre dieses Königssystems repräsentiert, aber andererseits sich immer wieder verwandelt, also auch durchaus eine Magie birgt. Und dieser, ja dieses Schweben zwischen diesen einerseits sehr kalten und diesem klaren Räumen und andererseits dann doch wieder diesen, dieses Zauberhaften, was das Theater ja auch immer wieder birgt, das ist so die, die Grundkonstellation, die ganz gut zu der zu der Inszenierung auch passt.

Nadja:
Und natürlich ein ganz wesentlicher Teil von der Oper ist die Musik. Und da haben wir jetzt einen jungen, aufstrebenden Dirigenten. Die musikalische Leitung macht Michelle Spotti, Mailänder. Was ist sein Zugang zu diesem Stück?

Roman:
Ja. Michelle Spotti ist sehr vertraut mit der Musik von Giuseppe Verdi und hat sich sehr eindringlich beschäftigt mit der Partitur, auch mit dieser Urfassung, die wir spielen von 1867. Ich finde, er hat einen sehr spannenden Zugang, weil er auch eben es schafft, diese grossen Verdiklänge mit dem Orchester hervorzubringen, einerseits aber auch die feinen, die leisen Momente dirigieren kann. Also der achtet sehr stark darauf, dass die kammermusikalisch komponierten Szenen auch wirklich so klingen und sehr fein klingen, manchmal nur von wenigen Instrumenten begleitet. Und gerade in dieser Widersprüchlichkeit und in diesen Gegensätzen erzählt sich so die dramaturgische Struktur von der Oper Don Carlos sehr gut. Und das ist eine grosse Qualität, die, glaube ich, nicht alle Dirigenten haben, die aber bei Michele Spotti aus so einem fast einfachen, fast intuitiven Zugang kommt. Also das ist ein, wie ich finde, musikalisch ein ganz famoser Abend.

Nadja:
Und das hören wir doch jetzt nochmals kurz in einem Ausschnitt aus dem Stück. Was hören wir?

Roman:
Ja, hier hören wir sein. Eine Szene, wie sie sehr typisch ist für Giuseppe Verdi, aber auch für diese Oper, Don Carlos. Das Bild, das Autodafe, also die Verurteilung, die öffentliche Verurteilung von Ketzern, die sehr gross inszeniert wird. Verschiedene Chöre, die klingen, ein Volkschor, dann gibt es ein Mönchschor, der die Verurteilung ankündigt. Und es gibt einen zentralen Moment: die Entfremdung zwischen Don Carlos und Rodrigue, seinem Freund, der mittlerweile Vertrauter des Königs ist und Don Carlos davon abhält, mit flandrischen Gesandten öffentlich den König blosszustellen. Also ein wichtiger Moment für die weitere Entwicklung des Stückes, der aber in diesen einerseits diesen grossen Klängen zu hören ist. Andererseits hört man das Motiv von Rodrigue und Carlos, das so eine melancholische Note bekommt an dieser Stelle und zeigt, wie Verdi in Don Carlos mit thematischem Material umgeht. 

[Ausschnitt aus dem Stück]

Nadja:
Zum Schluss vielleicht noch einmal diese Dauer, von der wir schon gesprochen haben. Don Carlos hat jetzt bei uns eine Dauer von drei Stunden und 45 Minuten bekommen. Wie hält uns denn Verdi da bei der Stange? Warum sollten oder wie können wir uns das antun?

Roman:
Ja, es gibt ja lange Opern, die wirklich nur sehr schwer zu ertragen sind. Don Carlos gehört explizit nicht dazu, wie ich finde, weil es ein Stück ist, das einerseits lang ist, andererseits ist die Handlung allerdings sehr fokussiert auf wenige Figuren, die man sehr gut verfolgen kann. Also fast ein bisschen wie bei einer TV-Serie sieht man, wie sich die Figuren entwickeln, wie sie sich verändern, also auch musikalisch. Und man bleibt eigentlich permanent an diesen Konflikten, an den Verstrickungen der einzelnen Charaktere dran. Und das ist etwas, was nicht viele Opern dieser Länge haben. Es gibt durchaus Stücke, die dann mit 15 Nebensträngen operieren und die dann sehr ausladend werden. Das ist hier nicht der Fall. Es ist wirklich eine sehr dichte Erzählung, eine sehr fokussierte Erzählung. Es gibt sehr viele Duette, was besonders ist für die Oper, zwar auch Arien, allerdings deutlich weniger. Und so ist man permanent beschäftigt und fasziniert eigentlich, wie die Handlung weitergeht und wie die Figuren auch weiter agieren werden.

Nadja:
Also vielleicht… wer schon The Crown gebinged hat oder noch vor längerer Zeit The Tudors und daran Spass hatte, sollte auch diesen Abend eigentlich gucken können und durchaus auch Vergnügen empfinden dabei. Vielen Dank für diese Einführung, Roman.

Roman:
Vielen Dank. Gerne.

Nadja:
Don Carlos spielen wir für Sie in der Spielzeit 21/22 noch bis Ende Mai auf der Grossen Bühne. Das Stück dauert drei Stunden 45 Minuten mit zwei Pausen. Mehr Infos gibt es auf unserer Internetseite: www.theater-basel.ch.