Hallo und herzlich willkommen beim Einführungs-Podcast vom Theater Basel. In dieser Folge sprechen wir über eine Schauspielproduktion, die man sich zwar im Schauspielhaus anschauen kann, aber spielen tut sie woanders. Dämonen ist ein Stück, das live auf der Leinwand zu sehen ist, während die Akteurinnen in der Stadt unterwegs sind. Inszeniert haben das Stück Boris Nikitin und Sebastian Nübling. Die Live Kamera führt Robin Elias Nidecker. Ich bin Nadja Camesi und heute spreche ich mit Inga Schorlau Schauspiel, Dramaturgin und Sparten Co-Leiterin am Theater Basel. Hallo Inga.
Inga Schonlau:
Hallo!
Nadja Camesi:
Nun also ein Live-Film. Was kann man sich denn darunter vorstellen?
Inga Schonlau:
Ja, du hast es ja schon ein bisschen beschrieben. Das ist also eine Gruppe, die in die Stadt zieht. Und die Stadt ist letztlich das Bühnenbild, die Kulisse für diesen Film. Und das Ganze wird mit einer einzigen Kamera eingefangen. Du hast schon Robin Nidecker genannt, der das mit einem Assistenten zusammen macht, Jelin Nichele. Und das Ganze wird zurück übertragen ins Schauspielhaus. Und da kann man es dann eigentlich, wie im Kino üblich, mit Getränk verfolgen. Man kann sogar rausgehen, wobei das viele jetzt in den Vorstellungen noch gar nicht gemacht haben, weil man eigentlich sehr gebannt zuschaut. Die zwei Kameraleute machen wirklich eine herausragende Arbeit. Es gibt so gar kein vorbereitetes Set. Es gibt auch kein Licht in dem Sinne, ausser einen Scheinwerfer, der gelegentlich genutzt wird. Und sie nehmen im Grunde die Geschwindigkeit der Stadt auf und vor allen Dingen natürlich der Gruppe, die mit einem ziemlichen Tempo durch die Stadt zieht. Und wenn es Slow Motion gibt zum Beispiel, dann wird das von den Spielern selbst hergestellt. Aber im Grunde ist das wirklich sehr, sehr pur auf Grundlage dessen, was man in der Stadt vorfindet. In der Übertragung auf die Bühne entsteht dann wieder ein sehr theatraler Raum. Der Raum wurde von Dominik Huber gemacht und der ist dann auch noch mal besonders ausgeleuchtet. Also so kennt man das dann im Kino eben nicht. Der verändert sich im Grunde auch mit dem Film. Und die Liveness ist letztlich das, was es zu einem Theaterabend macht. Also das ist genau das, was man natürlich nicht hat in einem normalen Film. Man spürt die ganze Zeit, das passiert jetzt, während ich hier zuschaue.
Nadja Camesi:
Was ist denn das für eine Gruppe, der wir hier zuschauen bei ihrem Streifzug durch die Nacht? Und was sind ihre Themen?
Inga Schonlau:
Ja, das sind schon eher junge Leute zwischen 18 und 30. Darunter sind zwei Schauspieler aus unserem Ensemble. Es ist auch eine Kooperation mit dem Jungen Theater Basel. Das war eigentlich auch einer der Anlässe. Überhaupt dieses Stück anzugehen, beruht sozusagen auch auf Vorläufern, die es schon gegeben hat. aus der Arbeit, vor allen Dingen von Sebastian. Ja, das ist so eine Gruppe. Man fragt sich sicherlich am Anfang, was die eigentlich verbindet. Die kommen also immer mehr zusammen und lassen sich dann so von der Stadt treiben. Und irgendwann schildern sie eigentlich recht persönliche Geschichten, authentischen Geschichten, aber sie sind auch verdichtet und insofern sind sie auch die einzelnen Geschichten. Aber ich würde schon sagen, dass sie auch über sich hinausweisen und durchaus gröSSere Identitätsfragen ansprechen. Das sind Fragen, woher man eigentlich kommt, wie sehr man bestimmt ist von seiner Vergangenheit, von auch schwierigen Themen seiner Vergangenheit. Ein groSSes Thema ist auch der Zugang zu der Realität, zu der Welt, in der wir leben. Eine Frage, wie man überhaupt wirksam werden kann, ob man sich überhaupt spüren kann, ob man diese Welt überhaupt in irgendeiner Weise noch verändern kann. Es ist vielleicht schon eine Generation, die eigentlich eher die Lehre aus der Vergangenheit gezogen hat, dass sie nicht mehr veränderbar ist. Und insofern ist das Thema der Zukunftslosigkeit oder Zuversicht durchaus präsent. Es wird auch noch mal formuliert in so einer Sequenz. Das ist Dominik Hartmann, der das auf den Punkt bringt. «Was mache ich eigentlich mit diesem Grundgefühl? Wende ich mich dann eigentlich gegen das AuSSen? Werde ich wütend oder bin ich so wütend, dass ich mich nach auSSen wende, auch mit meiner Wut? Oder werfe ich einen Stein eher gegen mich?»
Nadja Camesi:
Da hören wir kurz rein.
[Ausschnitt aus dem Stück]
Nadja Camesi:
Nochmals kurz zum Cast. Da sind eben zwei Ensemblemitglieder dabei. Sven Schelker und Julian Anatol Schneider, aber eben auch andere. Mag es für die vielleicht kurz vorstellen?
Inga Schonlau:
Ja, gerne. Da haben wir ja gerade schon Dominik Hartmann gehört. Und dann sind noch aus dem Zusammenhang des Jungen Theaters zu sehen und zu hören: Ann Mayer, Lukas Stäuble, Elif Karci und Elisa Dillier. Die sind alle so zwischen Anfang 20 und Ende 20 und ja, alles andere als als Laien unterwegs, sondern wirklich als als Performer:innen, in die wir hier sehen. Und natürlich auch mit einer grossen Kraft und einer Erfahrung, durchaus. Alle zusammen haben in dieser Arbeit Grosses geleistet. Das war sehr, sehr anstrengend zu proben. Allein die vielen Gänge in der Stadt, das war wirklich eine grosse Herausforderung, sich darauf so einzulassen. Und die stehen alle ganz toll nebeneinander sichtbar da.
Nadja Camesi:
Der Abend beginnt jeweils mit Anbruch der Dunkelheit. Warum ist denn das so? Was ist anders am nächtlichen Basel als tagsüber? Sind Dämonen nur nachtaktiv?
Inga Schonlau:
Na ja, wir haben schon so eine Vorstellung davon, dass natürlich sich bei Nacht, bei Ladenschluss, wenn Leute ausgehen, vielleicht auch was trinken gehen. Also in den Stunden bis Mitternacht und nach Mitternacht sich die Welt ein bisschen verändert und auch ein anderes Bild von sich abgibt. Die Gruppe ist mit einem ganz grossen Tempo unterwegs und am Anfang erleben wir die Stadt ja noch bei Tag. Und als dann schon das erste Moment einer Form von Erschöpfung eintritt, ziehen sie sich für eine kurze Zeit in eine Wohnung zurück und verwandeln sich und gehen auch mit Masken zurück auf die Strasse. Und dann kehrt sich tatsächlich ein bisschen was nach aussen, was wir vielleicht vorher thematisch so angelegt haben. Das wird dann gar nicht mehr mit vielen Worten beschrieben, sondern es ist sehr sichtbar, sehr körperlich, sehr choreografisch ziehen die durch die Stadt. Und genau da zeigt sich natürlich auch das nächtliche Basel noch mal von einer besonderen Seite. Man sieht auch viel von dem, was da an Nachtleben abgeht. Und eigentlich geht es dann darum, genau seine Überlegungen und inneren… sein Nachdenken eigentlich noch mal zu überprüfen und vielleicht auch loszuwerden und sich vielleicht schon in irgendeiner Weise auch davon zu befreien, wovon man sich bedrängt fühlt. Zum Beispiel von einem Überfluss an Werbung in der Stadt. Das ist durchaus ein Thema.
Nadja Camesi:
Lass uns über die Regisseure sprechen. Dämonen ist eine Zusammenarbeit von Boris Nikitin und Sebastian Nübling. Das sind beides keine Unbekannten in der deutschsprachigen Theaterwelt. Kannst du uns etwas zu ihnen erzählen?
Inga Schonlau:
Ja, wie du sagst. Sebastian hat ja auch hier schon sehr viele Arbeiten gemacht. Auch Boris ist sehr, sehr präsent in Basel. Beide kennen sich, glaube ich, schon sehr lange. Und sicherlich ist besonders, dass zwei Regisseure, die jetzt auch erst mal glaube ich, nicht in derselben Ecke eingeordnet werden, hier zusammenkommen. Die haben eigentlich aus Anlass, glaube ich, einer Produktion von Sebastian am Jungen Theater miteinander ein Gespräch geführt, ob sie nicht was weiterführen wollten aus einem Projekt, das auch Boris sehr interessiert hat, und haben sich gedacht, diese jungen Leute, die da sonst auf der Bühne zu sehen waren damals, die könnte man doch auch mal tatsächlich verfolgen, wie sie live durch die Stadt gehen. Das Projekt war zunächst sogar fürs Fernsehen gedacht und sollte wirklich die ganze Nacht durchlaufen. Und darüber ist die Idee entstanden. Am Ende fanden wir dann hochinteressant, genau das wieder zurück ins Theater zu führen. Und so kam es jetzt eben in dieser sehr speziellen Besetzung zu dieser Zusammenarbeit zwischen Sebastian Nübling und Boris Nikitin. Ja, Sebastian zeichnet sich ja vielleicht schon auch immer aus durch so ganz temporeiche körperliche Arbeiten. Und Boris, der selbst auch als Autor tätig ist, bringt da natürlich auch noch mal das Seine, sein Interesse fürs Texten rein. Und insofern verbindet sich da schon sehr viel. Und ich glaube, die haben auch schon inhaltlich gemeinsame Themen. Also da geht es ja dann doch auch um eine Form von Verletzlichkeit oder Versehrungen und natürlich Selbstverhältnisse, denen man eigentlich wieder Glauben schenken kann. Insofern geht es beiden vielleicht um eine Form von Autonomie, die auch diese jungen Leute wiedergewinnen und… Rein formal, denke ich, haben sie sowieso viel miteinander zu tun. Sie sind beide immer sehr, sehr genau in der Arbeit und interessieren sich, glaube ich auch letztlich für was eher Puristisches.
Nadja Camesi:
Lass uns kurz etwas zur Ästhetik des Abends sagen. Unter anderem gibt es da so ein Schwarzweiss-Motiv. Das sieht man auch in den Fotos des Stücks, und das zieht sich auch mehrfach durch. Was hat es damit auf sich?
Inga Schonlau:
Ja, wenn man so an Stadtprojekte denkt, dann denkt man vielleicht eher an so dokumentarische Projekte oder eben Projekte vielleicht eher mit Laien, aber das ist es wirklich gar nicht. Es ist auch kein Dokumentarfilm, der in so einer Weise jetzt Realitätssinn beansprucht. Es ist tatsächlich sehr puristisch, weil es eben auch überhaupt keinen Schnitt hat. Aber es gibt eben Mittel, mit denen wir im Grunde die Stadt oder die Sicht auf die Stadt auch auf eine Weise verfremden. Und da ist zum Beispiel ein Element – dieses Schwarzweiss, das bekommt natürlich eine ganz andere Dimension. Man bekommt eine andere Historizität, letztlich auch durch so was. Es gibt natürlich viele Cineasten, die an die Nouvelle Vague sich erinnert fühlen werden, aber auch andere Dinge, die dann eine Rolle spielen. Ausserdem ist der Sound im Saal, wenn man zuhört, verstärkt. Das heisst, es gibt ohnehin einen grossen Rhythmus, eine grosse Dynamik in der Produktion. Aber durch den Sound von Adolfina Fuck verstärkt sich letztlich auch dieses Moment des Rhythmus.
[Musik aus dem Stück]
Nadja Camesi:
Wie stark besteht denn dieser Abend aus Improvisation? Da gibt es ja durchaus Szenen, wo spontan reagiert wird auf die Umwelt. Da sind Passant:innen auch, die das mitkriegen. Wie spielt sich das ab?
Inga Schonlau:
Spontan muss man auf eine Weise sowieso sein, weil man natürlich als Spieler:in auf die Strasse geht und sich trauen muss, das überhaupt zu machen und wirklich auch so eine Präsenz in der Stadt zu zeigen. Es werden auch durchaus mal Autos angehalten. Und so weiter. Aber es ist baut nicht in erster Linie auf Improvisation. Im Gegenteil, es ist sehr, sehr durchdacht und es ist sehr, sehr genau gebaut. Aber natürlich sieht man das auch. Die Leute, die Menschen, die man unterwegs sieht, immer wieder im Vorbeiziehen zumindest, dass die… auch auf diese Gruppe reagiert. Es gibt auch eine Sequenz, konkret vorm Burger King zum Beispiel. Da sind auch einfach die Menschen, die dann einfach zufällig da sind, in irgendeiner Weise involviert. Und ganz am Ende führt das auch noch mal dahin, dass in der Steinenvorstadt richtig Gespräche auch mit Leuten geführt werden. Aber es ist eigentlich vor allen Dingen das Wahrnehmen von beiden Seiten, eigentlich dieser Stadt.
Nadja Camesi:
So ein Gespräch Hören wir uns auch kurz an.
[Ausschnitt aus dem Stück]
Nadja Camesi:
Wenn das Publikum sich jetzt dieses Stück auf Leinwand anschaut. Und hast es gesagt, es war mal als Fernsehprojekt gedacht, ist denn das noch Theater?
Inga Schonlau:
Also ich finde, das ist wirklich Theater at its best, weil es natürlich genau die Liveness hat, die das Kino so nicht haben kann. Und ich finde, es war sehr, sehr zu spüren im Zuschauerraum, wie spannungsgeladen das ist, wie sehr das berührt, wenn man weiss, dass die jetzt live unterwegs sind, was vielleicht auch passieren kann, was passieren wird. Das hat schon wirklich ein hohes Mass an Spannung. Ja, ich würde sagen, Film steht ja manchmal auch in Konkurrenz zum Theater oder umgekehrt Theater in Konkurrenz zum Film. Und hier kehrt sich das eigentlich noch mal so auf eine Weise um. Das ist schon ein sehr interessantes Projekt, auch eigentlich an einem Punkt, an dem das Theater ja mit den vielen Streamings, die es zu Coronazeiten gab, irgendwie auch versucht hat, darauf eine Antwort zu finden. Ich finde, das ist jetzt wirklich schon advanced. Und ja, sie spielen eigentlich mit dem Medium. Die Gruppe spielt auch mit dem Medium, das ja doch auch was ein Grossteil der Identität von uns allen und vor allen Dingen auch von jungen Menschen ausmacht. Und insofern finde ich, dass das ein sehr reflektierter Umgang ist mit Filmen, aber natürlich auch mit Theater.
Nadja Camesi:
Ja, vielen Dank für diese Einführung Inga. Dämonen ist in der Spielzeit 21/22 noch bis zum 25. Juni im Schauspielhaus zu sehen. Der Abend dauert zirka 3 Stunden 20 Minuten ohne Pause. Es gibt eine Bar, Getränke können in den Saal genommen werden und Ein- und Auslass ist jederzeit möglich. Mehr Infos gibt es auf unserer Internetseite www.Theater-Basel.ch
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