Stückeinführung Der Barbier von Sevilla

Stückeinführung

‹Der Barbier von Sevilla› Info

Willkommen zum Einführungs-Podcast vom Theater Basel. Mit diesem Podcast können Sie sich egal wann, egal wo informieren über Stücke auf der Grossen Bühne und im Schauspielhaus. In dieser Folge geht es um eine Operninszenierung im Schauspielhaus. Der Puppenspieler und Kunstpfeifer Nikolaus Habjan hat Rossinis ‹Barbier von Sevilla› inszeniert. Es spielen die Mitglieder von OperAvenir, dem Opernstudio vom Theater Basel, das dieses Jahr sein 15-jähriges Bestehen feiert, und es dirigiert der Opernstudioleiter Hélio Vida. Im Orchestergraben spielen Studierende der Musikakademie Basel. Ich bin Nadja Camesi, und heute spreche ich über diese besondere Produktion mit Roman Reeger, leitender Operndramaturg am Theater Basel. Hi Roman.

Roman:
Hallo Nadja.

Nadja:
Wir haben ja mit diesem Titel einen grossen Opernklassiker auf dem Programm. Alle dürften den Titel selber kennen, viele wahrscheinlich auch das Werk. Aber was wahrscheinlich nicht alle kennen, ist die Geschichte des Werks. Was kannst du uns da Interessantes erzählen?

Roman:
Ja, genau. Also, der Barbier von Sevilla, von Gioachino Rossini, ist wahrscheinlich nicht nur die berühmteste Oper des Komponisten, sondern auch so ein echter Klassiker auf der Opernbühne. Und das tatsächlich auch ununterbrochen. Seit der Uraufführung 1816 stand dieses Stück immer auf dem Spielplan, was ja bei weitem nicht bei allen Opern Rossinis der Fall gewesen ist. Interessant ist, dass dieses Stück, das so ein grosser Erfolg war, in ganz wenigen Tagen entstehen musste und entstanden ist. Rossini selbst hat später gesagt, er habe es in 13 Tagen komponiert, allerdings kann man das ein wenig anzweifeln. In Wirklichkeit waren es wohl um die drei Wochen. Es war so, dass das Theater, das Teatro Argentina in Rom, die Finanzierung für die Spielzeit, für die Karnevalssaison erst kurzfristig gesichert hatte. Und so musste Rossini, der den Auftrag so Ende Dezember 1815 bekam, wirklich in kürzester Zeit liefern, da die Premiere eben schon am 20. Februar stattfinden sollte. Er hat sich dann ein Stück überlegt oder ausgesucht, das schon bekannt war, also sehr bekannt war. Der Barbier von Sevilla ist eigentlich eine französische Schauspielkomödie von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, 1775 uraufgeführt, sehr wichtig auch für das französische Theater, und er hat dieses Stück quasi neu verkomponiert als Oper. Und es ist schon erstaunlich, was er dann daraus gemacht hat, also sehr viele Figuren entwickelt hat, zusammen auch mit seinem Librettisten Cesare Sterbini. Also eine wirklich rasante Komödie, die, wenn die Uraufführung auch etwas unglücklich war, da gab es so einige Pannen, aber dann sehr, sehr schnell einen grossen Erfolg hatte.

Nadja:
Hast du ein Beispiel, was da so vorgefallen ist an Pannen? weiß man das?

Roman:
Das Hauptproblem war tatsächlich, dass der Barbier von Sevilla auf der Opernbühne auch schon mehrfach verkomponiert wurde. Und es gab eine ganz, ganz berühmte Vertonung 1782 von Giovanni Paisiello. Diesen Barbier hatten alle im Ohr, und es gab auch eine grosse Anhängerschaft, die wohl am Tag der Premiere im Zuschauerraum sass und versucht hat, diese Premiere effektiv zu stören. Es gab dann verschiedene Bühnenpannen. Ein Darsteller ist hingefallen und hat geblutet. Man dachte, das gehört zur Inszenierung. Es gab verschiedene Auftritte, die nicht funktioniert haben. Also es war so ein etwas tumultartiges Unterfangen an diesem Tag.

Nadja:
Das klingt aber trotzdem nach etwas, was man sich hätte anschauen müssen.

Roman:
Das passt auch perfekt zur Karnevals Saison. Ja, aber diese Verwandtschaft mit dieser Vorlage von Paisiello, die führte dazu, dass das Stück ursprünglich gar nicht ‹Barbiere di Siviglia› hiess, sondern eben nach der Hauptfigur, nach dem Grafen Almaviva benannt war. Danach hat man es erst dann umgewandelt.

Nadja:
Verstehe. Und es gibt wohl auch eine Nachfolgekomödie ‹Die Hochzeit des Figaro›?

Roman:
Oh ja, genau. Also, man muss dazu sagen, dass diese Vorlage von Beaumarchais, das ist insgesamt eine Trilogie, die sich um den Barbier Figaro dreht, eine Figur, die so ganz dezidiert aus der Dienerrolle sich erhebt, also auch in der Vorzeit der Französischen Revolution und zum selbstständigen Unternehmer, würde man sagen, sich wandelt. Und gleich drei Komödien hat Beaumarchais diesem Figaro gewidmet. Die Hochzeit des Figaro ist natürlich vor allem durch die Vertonung von Wolfgang Amadeus Mozart berühmt geworden, 1786. Aber auch der Barbier von Sevilla, also der erste Teil, in dem der Figaro vorkommt, wurde wirklich mehrfach verkomponiert. Heute wissen wir natürlich vor allem von der Rossini-Vertonung, aber in dieser Zeit gab es wirklich einige Opern mit diesem, mit dieser Vorlage.

Nadja:
Aber vielleicht trotzdem noch einmal kurz auf den Punkt gebracht für jene, die die Geschichte noch nicht kennen oder sie noch mal auffrischen möchten. Was wird da genau erzählt?

Roman:
Ja, es ist eine, man würde sagen, eher auch eine sehr klassische Geschichte für die Zeit. Es gibt eine junge Frau, Rosina, die nicht nur jung ist, sondern auch sehr vermögend. Und die wird bewacht von ihrem Mündel, Doktor Bartolo. Dieser Doktor Bartolo hat natürlich nicht nur das Wohl Rosinas im Kopf, sondern will sie selbst auch heiraten aufgrund ihres Geldes. Dann gibt es einen jungen Grafen, Graf Almaviva, der sich zunächst als armer Student ausgibt, damit Rosina sich nicht in ihn verliebt, aufgrund seiner höheren Stellung. Und dieser Graf versucht dann, ihr näher zu kommen und bittet dafür den Barbier Figaro um Hilfe. Der hat dann so ein paar Ideen, zum Beispiel, dass man sich doch verkleiden solle als betrunkener Soldat, um dann Quartier einzufordern bei Bartolo. Der Plan geht allerdings gründlich schief. Dann gibt es eine zweite Idee Da gibt sich Almaviva als Musiklehrer aus. Auch das wird eine Situation, die so aus dem Ruder läuft, da auf einmal dann der wirkliche Musiklehrer Basilio auftaucht. Also es gibt ein grosses Verwirr-, Versteck-, Verkleidungsspiel. Und ja, am Ende, soviel sei verraten, gibt es natürlich ein Happy End. Die Jungen, das junge Paar kommt zusammen und Bartolo hat das Nachsehen.

Nadja:
Ja, das ist eine recht klassische Handlung. Und na ja, wenn ich mich nicht täusche, ist das von der Commedia dell'arte inspiriert. Was heisst denn das genau? Was ist das?

Roman:
Ja, genau. Also, die Commedia dell'arte war natürlich etwas. Also die italienische Stegreif-Komödie war allen geläufig, auch die Figuren, die da vorkamen. Also es gab zum Beispiel den Arlecchino, der einen natürlich sehr stark an Figaro erinnert. Es gibt den Dottore, der natürlich auf den Bartolo verweist. Also das war Sterbini und auch Rossini sehr wichtig, hier auf Charakter oder oder Charaktere zurückzugreifen, die bekannt waren und diese auszugestalten. Es ist keine psychologische Durchcharakterisierung von Figuren, sondern es sind wirklich sehr klassische Typen, die für einen Komponisten dann natürlich tolle Vorlagen bieten, musikalisch, auch diese auszugestalten.

Nadja:
Und der Barbier wird ja auch als Opera buffa bezeichnet, das heisst, es ist eine lustige, eine komische Oper. Hört man das denn auch in der Musik?

Roman:
Natürlich, ja. Also es ist so, dass Rossini, also vor allem – es gab die Opera buffa und die Opera seria, also die ernste Oper und die lustige Oper. Das war sehr stark getrennt und auch die Formen waren in sich unterschiedlich. Und auch, ich sage mal so, das Besteck, das ein Komponist zur Verfügung hatte, war für beide Operntypen erst mal definiert. Charakteristisch ist in dieser Opera buffa bei Rossini, dass er eine unglaublich energetische Musik schreibt, also die Dominanz auch von Rhythmusmustern. Diese sehr schnellen Tempi. Diese grosse Vitalität der Musik, die spürt man auch heute noch. Und das ist sicherlich etwas, was so ein Stilmerkmal von Rossini ist. Gleichzeitig zeigt es sich auch in den Figuren, die alle ja wie so Getriebene sind, die alle sehr grosse, sehr prägnante Auftritte haben. Es gibt zum Anfang einen Grafen oder den Grafen Almaviva, der eine schwärmerische Auftrittsarie singt. Dann später singt er eine Canzonetta, die nur von einer Gitarre begleitet wird. Auch die Figur Figaro, die sich ja nicht zuletzt durch diese Oper zu einer der prägnantesten Opernfiguren überhaupt entwickelt hat, hat einen, wie ich finde, ja singulären Auftritt in der Oper in dieser Zeit. Also er hat ein sehr langes Orchesterzwischenspiel, über 40 Takte, also dieses Zuspätkommen des Barbiers wird hier illustriert, und die musikalische Form seiner Arie orientiert sich eben nicht an so vorgegebenen Formen, sondern sie zeigt die Wendigkeit der Figur. Es gibt insgesamt sieben musikalische Motive, die sich ständig je nach Text abwechseln im Tempo und im Rhythmus variieren. Also eine virtuose und gleichzeitig grosse Auftrittsarie dieser besonderen Figur.

Nadja:
Da hören wir doch gleich mal rein.

[Ausschnitt aus dem Stück]

Roman:
Ja. Also ich glaube, hier hört man diese, diese Besonderheit der Rossinischen Musik, also diese, diese vielen, eben diese prägnanten Rhythmen und auch diese vielen unterschiedlichen Stimmqualitäten, die der Figaro mitbringen muss und das rasante Tempo. Und so sieht man eigentlich, dass in jeder Figur Rossini so etwas Besonderes, ein eigenes musikalisches Idiom, könnte man fast sagen, erfindet. Es gibt dann diesem Musiklehrer Basilio, der so eine grosse Verleumdung Arie singt, die überhaupt keinen dramaturgischen Effekt hat, allerdings ein unglaublicher Auftritt ist. Es gibt Dr. Bartolo, der der Figur entsprechend etwas klassischer daherkommt in Bezug auf Sängertypen in der Oper. Also er hat ein Parlando, vor allem an vielen Stellen und in seiner Auftrittsarie, da gibt es auch fast einen – zur damaligen Zeit und wahrscheinlich auch bis heute noch – eine Art Weltrekord. Das ist wahrscheinlich einer der schnellsten Parlandoabschnitte, die überhaupt gesungen wurden. Das Besondere ist auch, dass Rossini das Orchester sehr farbenreich gestaltet. Also er bezieht das ein als dramaturgischen Partner in den Arien und in den Ensembles. Er hat auch die Instrumentation komplett selbst gestaltet, was zur damaligen Zeit keineswegs üblich war und eben auch sehr kreativ mit Instrumenten gearbeitet.

Nadja:
Und nun lasst uns zur Inszenierung kommen, die hier in Basel gezeigt wird. Wir haben ja das Wichtigste eigentlich noch gar nicht gesagt, oder das Auffälligste. Auf der Bühne sieht man nämlich nicht nur die Sänger:innen, sondern auch lebensgrosse Puppen, die auch von den Sänger:innen gespielt werden. Wie kommt das? Und was ich mich da frage ist, wie spielt sich so ein Probenprozess ab?

Roman:
Ja, du hattest schon gesagt, Nikolaus Habjan ist ja nicht nur Opernregisseur, sondern eben Puppenspieler und Kunstpfeifer. Wobei letzteres hier leider weniger eine Rolle spielt. Und mit diesem Stil hat er sich sehr erfolgreich etabliert in den letzten Jahren. Tatsächlich ist es so, dass in der Inszenierung Sängerinnen und Sänger die Geschichte spielen, allerdings mit lebensgrossen Klappmaulpuppen. Dieses Puppenspiel ist natürlich erst mal körperlich anstrengend, weil man muss fast zwei Stunden diese Puppen tragen und diese Bewegungen machen, die Arme bewegen und den Mund bewegen. Andererseits ist es natürlich auch eine ganz andere Arbeit, die man hier verrichten muss als Sänger. Denn das Wichtigste ist tatsächlich, den Fokus vom eigenen Körper und vom eigenen Tun auf die Puppen zu lenken. Und da haben wir schon vor den Proben Workshops gemacht mit einer Puppenspielerin, die uns hier geholfen hat. Und da haben die Sänger so nach und nach gelernt, wie sie diese Puppen so führen, als wären es ihre Handlungen in diesem Moment. Das passt in diesem Fall sehr, sehr gut zu der Oper, da es natürlich eine Verwechslungs- und Verwandlungskomödie ist. Also alle Figuren spielen ständig Rollen, geben etwas anderes vor zu sein, als sie in Wirklichkeit sind. Und das ist natürlich toll, wenn man sieht, wie die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne anwesend sind, aber trotzdem immer einen Stellvertreter oder eine Stellvertreterin spielen müssen. Ganz besonders wird es in meinem Empfinden dann, wenn sich Sängerinnen oder Sänger von Puppen lösen oder wie kann man sagen, den Puppen widersprechen. Das kann immer mal wieder passieren, es gibt Kommentierungen. Man merkt an einer Stelle, das ist eine sehr prägnante Szene in der Oper, dass sich die Rosina, also die Darstellerin der Rosina, Nataliia Kukhar, streitet mit ihrer Puppe. Also es kommt da richtig zu Handgreiflichkeiten, weil die beiden komplett unterschiedlicher Meinung sind. Und das sind natürlich die besonders vergnüglichen Momente einerseits. Und andererseits hat es natürlich auch etwas, wie ich finde, fast psychoanalytisch Tiefgründiges. Wie das wie sich so zwei Ichs oder zwei Identitäten gegeneinander wenden und unterschiedliches wollen so sichtbar wird. Also das sind die wirklich sehr herausstechenden Szenen in dieser Inszenierung.

Nadja:
Wir hören uns diesen Moment mal an.

Nadja:
Nun lass uns nochmals darüber sprechen, was das so insgesamt für ein Abend ist. Also was ist so das Setting? Was erwartet einen, wenn man dahin geht?

Roman:
Ja, es ist eine Oper im Schauspielhaus. Das kommt ja auch nicht häufig vor, dass wir mit einer klassischen Oper im Schauspielhaus zu Gast sind. Und aus diesem Grund spielen wir auch eine Kammerversion des Barbier auf der Bühne des Schauspielhaus. Das bedeutet, dass auch das Orchester auf der Bühne sitzt, quasi mit den Spielerinnen und Spielern und mit dem Bühnenbild. Und das Tolle ist an dieser Version, dass sich Musik und Szene sehr direkt miteinander verbinden können. Also wir haben ein grosses Bühnenbild. Der Raum besteht aus zwei Treppenhäusern, die so ineinander verschlungen sind, auf denen die Figuren, ja, Gänge machen und sich immer wieder einfinden. Und dieses Treppenhaus wird wie das Haus von Rosina und Bartolo bespielt. In dieser Kammerversion ist es allerdings so, dass man eben nicht das Gefühl hat – so empfinde ich es jedenfalls – dass man in einer grossen Oper ist, wie wenn man den Barbier in der Wiener Staatsoper oder so sieht, sondern man hat so dieses Komödiantische, das stegreifhafte, dieses offene Spiel auch zwischen Puppen, Sängerinnen und Orchester sehr unmittelbar vor sich. Das heisst, die Geschichte wird auch immer wieder kommentiert, die Situation wird kommentiert, auch das Orchester wird mit bespielt. Wenn zum Beispiel Musikerinnen und Musiker sich herauslösen, ein Gitarrist die Arie des Grafen begleitet oder ein Perkussionist auf die Bühne kommt und den Moment eines Sängers vielleicht stört. Also das sind alles sehr abwechslungsreiche und sehr musiktheatrale Momente, wo man eben sieht, wie diese Oper auch tatsächlich konstruiert ist, nämlich gar nicht so sehr als grosser Klassiker natürlich, oder als grosse Oper, sondern eben sehr stark doch kommt aus dem Improvisierten, aus dem Stegreifhaften. Und auch Nikolaus Habjan ist es sehr wichtig, dass er diese offene Illusion erzeugt. Das heisst, wir sehen Kostüme, die so betont, auch rokokohaft wirken und opulent wirken. Die Geschichte wird sehr konsequent, man könnte auch sagen klassisch erzählt, aber immer wieder, und das ist dann das Besondere, gebrochen. Also solche Momente wie, dass sich auf einmal Darstellerin und Puppe streiten oder dass auf einmal jemand aussteigt und das Orchester zur Ruhe bittet. All das bricht natürlich diese erzeugte Illusion und ist, glaube ich, das, was dann den Abend auch sehr unterhaltsam und vergnüglich macht.

Nadja:
Vielen Dank für diese Einführung.

Roman:
Sehr gerne.

Nadja:
Der Barbier von Sevilla können Sie in dieser Spielzeit noch bis Ende Juni auf der Schauspielhausbühne sehen. Das Stück dauert zwei Stunden 40 Minuten mit einer Pause und mehr Infos gibt es auf unserer Internetseite www. Theater Basel.